Der Webvideopreis 2014

Im immer spannenderen Kampf mit dem Fernsehen hat am Samstag das Internet zurückgeschlagen: Loko und Klaas präsentierten den Webvideopreis 2014. // von Hannes Richter

Screenshot Webvideopreis

Wie misst man Relevanz im Netz? Mit Masse vs. Qualität, wie so oft schwarzmalerisch kolportiert, kann man diese Frage nicht so einfach beantworten. Und doch lässt einen nach dem Webvideopreis 2014 das Gefühl nicht los, dass hier ein großer Teil, man könnte ihn das erwachsene World Wide Web nennen, kaum eine Rolle spielt. Das interessante Projekt einer Webvideo-Academy muss aufpassen, dass es dabei nicht den eigenen Mechanismen zu Opfer fällt. Ein Überblick.

Soso, „das beste Video des Internets“ (Klaas Heufer-Umlauf in einer so modern wie professionellen Backstage-Anmoderation) ist also das verlängerte Musikvideo eines Mittelzentrum-Hiphoppers, der sich nach eigenen Angaben der Förderung des „Zuhälterrap“ widmet. Vielleicht waren hier aber auch nur die Fliehkräfte der mit jedem Jahr offensichtlicher werdenden Ausrichtung des Spektakels abzulesen: Der erfolgreiche Rapper Kollegah vertreibt die Anarchie aus der Webvideoszene. Einzug halten Klickzahlen und ein Style, der nur scheinbar modern ist. Die Klicks sind dem Rapper sicher (3,6 Millionen, Stand 25.5.) und das Juryvote wird durch die recht langweilige, aber gerade noch außergewöhnliche Idee eines durchlaufenden After-Effects-Roy-Lichtenstein-Comicclips mit Sprechblasen-Lyrics gesichert. Sehr originell. Damit gewinnt Kollegah insgesamt drei Preise. Einen davon, ausgerechnet in der Newbee-Kategorie, für seinen Youtube-Kanal. Dieses für nicht viel mehr als zur Markenpflege und zum Absatz von Alben genutzte Tool zeugt aber weniger von der Modernität des Sängers als vom rückständigen Zustand des Onlinemusikmarketings überhaupt. Das Kollegah mit einem eigentlich selbstverständlichen aber bisher nur als Gimmick angesehenen Marketing-Instrument („Also, alle abonnieren! Oder nicht… selber schuld“) so erfolgreich absahnen kann, ist eher ein Armutszeugnis für die Branche.

Entstanden ist der Webvideopreis eigentlich einmal, weil sich im Netz eine interessante neue Medienform zu entwickeln schien. Frei von den Zwängen öffentlich-rechtlicher Redaktionen und ohne Werbedruck wurden hier so unterschiedliche Formate wie das „Du bist Terrorist“-Video der Piraten (2011) oder die Badman-Persiflage „Breadman Rises“ (auch 2011) prämiert. Später kam als inzwischen zweifacher Preisträger noch der kluge Vielredner LeFloid dazu (2013 und 14). Mit seinem nicht enden wollenden Redeschwall nudelt er auch politisch schwierige Themen aus konsequent subjektiver Sicht durch und ruft, statt erwachsene Lektionen zu erteilen, seine junge Zielgruppe zum diskutieren auf. Solche Formate gibt es immer mehr im Netz und der Webvideopreis sollte eigentlich eine Lobby dafür sein. Doch was sich im letzten Jahr schon langsam angekündigte, wird jetzt offensichtlich. Das Bild bestimmen semiprofessionelle Comedy-Truppen und ein schon seit einem Jahr bekanntes Viral-Video über Kondom-Slingshots. Dazu der erwähnte Rapper und die offensichtlich zur medialen Aufwertung angeheuerten Moderatoren der Preisverleihung, Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt. Die beiden machen ihre Sache recht ordentlich, sie verleihen der Gala ein bisschen Glamour (gut geskripted, muss man schonmal sagen) und aktuellen TV-Hauch. Aber genau das ist, was diese Veranstaltung nicht braucht. Der Niedergang des Deutschen Fernsehpreises kann einem da ein warnendes Beispiel sein: Beliebigkeit tötet durch Langeweile. Denn Webvideo kann so viel mehr sein als ein Marketingvehikel für Pop-Musik oder das Vorführen von peinlichen Promovideos (die unbeholfene Selbstironie der NRW-Polizei ist übrigens weit tiefgründiger als man denkt). Der Webvideopreis muss sich auf seine Wurzeln besinnen, um an Relevanz zu gewinnen.

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PS: Mein persönliches Highlight der Verleihung – die Matrjoschka der Imagefilme: Im Auftrag eines Kameraherstellers macht eine Agentur Werbung für sich mit einem Werbefilm für einen Obststand. Am wenigsten nimmt man dem Obststand sein alle Videomarketingregister ziehenden Lobpreisungen ab. Der Lorbeer bleibt woanders hängen: Ein bisschen beim Auftraggeber, am meisten bei einer genialen Agentur.


Teaser & Image (Screenshot) by Deutscher Webvideopreis


wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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