Datenschutz reloaded: Teilen statt Darwinismus?

Die Debatte um Datenschutz lässt verschiedene gesellschaftliche Meta-Aspekte im Umgang mit Daten außer Acht. // von Ole Wintermann

Sharing instead of Darwinism (Image: Ole Wintermann)

Statt über das einfache Pro und Contra des Sammeln von Daten zu diskutieren, sollten wir vielleicht auch fragen, in welchem gesellschaftlichen Zusammenhang welche Positionen vertreten werden.

Datenschutz und die Debatte über die Verwendung von Daten wird seit Jahren unter den immerselben (und überaus wichtigen) Gesichtspunkten geführt:

  1. Datenschutz und Privatsphäre: Welcher Umfang an Datenschutz ist gewünscht und realistisch?

  2. Daten als Machtinstrument: Was wissen Unternehmen und der Staat über mich?

  3. Ungleichheit der Datenanhäufung zwischen privaten und öffentlichen Akteuren: Dürfen Unternehmen mehr über die Einwohner eines Landes wissen als deren eigene Regierung?

  4. Connected Data: Wo ergeben sich Muster in den Datenströmen, die zu Erkentnisgewinnen führen?

  5. Entscheidungsmacht von Algorithmen: Ist eine von Menschen getroffene Entscheidung richtig, auch wenn der Algorithmus das anders sieht?

  6. Kompetenz im Umgang mit Daten: Gehört das Fach Informatik in die Schule und Datenjournalismus als zukünftiges Berufsfeld?

  7. Globalisierung des Sammelns von Daten: Wie passen auf Dauer nationalstaatliche Regelungen zum globalen Netz?

  8. Open Public Data: Wie sehen konkrete Beispiele für #DataforGood aus?

Hinter all diesen ganz pragmatischen operativen Fragen stehen aber stets einige Meta-Fragen oder -Diskurse, die nicht offen angesprochen werden.

Verlust tradierter Deutungshoheiten?

Umso wichtiger jede Art von Daten für die Entscheidungen von Unternehmen, Politik und privaten Nutzer sowie den Bürger wird, desto wichtiger wird die Frage nach der „richtigen“ Interpretation dieser Daten. Die Daten entheben zunehmend die althergebrachten EntscheiderInnen ihrer selbst zugeschriebenen Kernkompetenz: dem Entscheiden. Immer weniger werden es sich Politiker und Unternehmenslenker erlauben können, für die Bürger und Kunden suboptimale Entscheidungen zu treffen, die zwar deren eigene Machtinteressen bedienen, am Ende des Tages aber an den Wünschen von Bürgern und Kunden vorbeigehen. Daten aus Skandinavien haben beispielsweise rechtzeitig auf den gesellschaftliche und volkswirtschaftlichen Schaden hingewiesen, die die Herdprämie in Schweden verursacht hat. Somit wurde die Entscheidung pro-Herdprämie hierzulande rechtzeitig als rein parteipolitisch motivierte Entscheidung erkannt und ihrer Legitimation beim Wähler entzogen.

Damit deutet sich an, dass Deutungshoheiten schwinden werden, umso transparenter Interpretationen erfolgen werden. Entscheidungen können sehr viel stärker als früher auf den öffentlichen Prüfstand gestellt und hinterfragt werden. Damit können die Entscheider immer seltener individuell motivierte Entscheidungen treffen. Sie müssen vielmehr die Reaktion des Kunden und des Bürgers vorab antizipieren, wenn sie nicht wollen, dass die Entscheidung sie selbst in ihrer Funktion sogleich in Frage stellt.

Wie könnte eine Ethik der Algorithmen aussehen?

Wie kann eine Ethik der Algorithmen aussehen? Nicht zuletzt mit der Einführung der ersten selbstfahrenden Autos muss diese Frage speziell für diesen Bereich beantwortet werden. Hinter der Erstellung dieser Algorithmen stehen normative Vorstellungen der Menschen, die sie programmieren. Eine Health-App kann zwar entscheiden, dass mehr als 4.000 Schritte am Tag gesund sind. Wie sieht es aber schon mit dem nächsten Schritt der Bewertung aus? Ab wann ist ein Cholesterin-Wert nicht mehr vertretbar? Welche Studien schlagen welche Grenzwerte vor? Durch die selbstlernenden Bewertungsmechanismen und das Erkennen von Mustern in Connected Data wird sicherlich irgendwann der Algorithmus entscheiden, welcher Wert empfehlenswert ist.

Wenn aber diese Logik auf andere Bereiche übertragen wird, stellt sich die Frage, wie wir mit dieser uns selbst optimierenden Lebensweise umgehen. Was ist, und diese Frage hatte nicht zuletzt Stephen Hawking gestellt, wenn die Algorithmen erkennen, dass unsere Lebensweise und damit auch die Menschen an sich nicht „optimal“ agieren?

Open Data vs. Cyber Warfare?

Könnte es sein, dass die gerade zu beobachtende zunehmend Offenheit der westlichen Gesellschaften in Bezug auf öffentliche Daten potenziell im Zuge von Cyber-Warfare ausgenutzt wird? Würde dem so sein und käme es zu größeren Zwischenfällen als die zuletzt beim französischen Sender TV5 beobachteten, so muss damit gerechnet werden, dass sowohl das Streben nach mehr Open Governance als auch die freie Nutzung öffentlicher Daten erneut eingeschränkt und die Skepsis der Bürger und Nutzer gegenüber dem Sammeln von Daten wieder ansteigen könnte. Dies wäre aber – eben gerade unter dem Gesichtspunkt des „Data for Good“ – leider sehr kontraproduktiv für die Gesellschaft und das Erreichen einer nachhaltigen Lebensweise.

Ob sich unter diesen Bedingungen jemals eine globale Governance und eine Regulierung des Umgangs mit jeder Form von Daten ergeben werden, darf bezweifelt werden. Daten und das Sammeln von Daten geschieht global. Die Regulierung erfolgt regional. Es bestünde damit eigentlich die Notwendigkeit des Aufstellens global gültiger Regeln im Umgang mit nutzerbezogenen Daten – angesichts von drohenden Cyber Warfare Szenarien erscheint dies schwerer denn je zu erreichen sein.

Daten für mehr Nachhaltigkeit?

Der vielleicht wichtigste übergeordnete Verwendungszweck von Daten ist die Erreichung einer gesellschaftlich wie auch individuell nachhaltigen Lebensweise. Stichwort: „Data for Good„. Momentan steht dem allerdings noch entgegen, dass personenbezogene Nutzerdaten nur durch die Unternehmen genutzt werden können, die diese sammeln und das öffentlich zugängliche anonymisierte Daten noch nicht wirklich einer flächendeckende Verwendung zugeführt werden konnten. In Zukunft deutet sich ein kulturell basierter Konflikt zwischen den verschiedenen Weltregionen um das Sammeln personenbezogener Daten an. Es kann angesichts des wachsenden Bewusstseins über die Datensammelproblematik optimistisch davon ausgegangen werden, dass sich in der Zukunft die europäische Sichtweise bei den Nutzern internetbezogener Dienste weltweit durchsetzen könnte.

IKEA-Shopping (Image: Ole Wintermann)

Angesichts von Megatrends, die die Menschheit in ihrer Existenz bedrohen, wäre es wünschenswert, wenn die Verwendung von Daten für die Bewältigung von Klimawandel, sozialen Ungleichheiten oder die Stärkung von Bürgerrechten genutzt werden würden. So zeigen uns schon heute entsprechend aufbereitete und in diesem Maße bisher nicht gekannte Visualisierungen die zunehmende soziale Segregation in europäischen Großstädten, die drastische Erwärmung der Meere in den arktischen Regionen, die weltweiten Flüchtlingsströme oder die Ungleichgewichte auf den globalen Finanzmärkten. Damit aber kann das Bewusstsein für die Globalisierung der Risiken und Herausforderungen sowie für die Verbreitung von geeigneten Lösungen vorangetrieben werden.

Wer definiert den „richtigen“ kulturellen Umgang mit Daten?

Die Interpretation von Datenschutz, Privatssphäre, Marktpotenzialen oder Relevanz ist höchst kulturell dominiert. Wir glauben hierzulande – in einer alternden, schrumpfenden und technikaversen Kultur – dass unser Maßstab im Umgang mit Daten das Maß aller Dinge sei. Dem ist natürlich nicht so. Nicht einmal innerhalb Deutschlands gibt es einheitlich Vorstellungen darüber. So diskutieren Juristen, Ökonomen, Psychologen oder Pädagogen auf vollkommen unterschiedlichen Ebenen miteinander oder auch nebeneinander dieses Thema.

Nicht umsonst hatte Gunter Dueck schon auf der #RP13 zum Meta-Diskurs aufgerufen, um das Verständnis über das gegenseitige Nicht-Verständnis zu verbessern. Auch in diesem Kontext sollte wieder gefragt werden, ob nicht der Nutzer und/oder der Bürger irgendwann einfach selbst darüber entscheiden wird, wie der Umgang mit seinen Daten aussehen sollte, in dem er ganz einfach mit seinem Verhalten darüber abstimmt.

Teilen für eine bessere Welt?

Kollaborativ erarbeitete Lösungen für gesellschaftlich relevante Probleme wie auch für betriebliche Herausforderungen bedeuten immer ein Teilen von Wissen, Daten und Erkenntnis. Unternehmen sind aber nicht auf das Prinzip des Teilens eingestellt. Es ist nicht vorgesehen, dass der Angestellte einen unmittelbaren und individuellen Nutzen vom Teilen seines Wissens mit anderen Kollegen hat. Dass aber das einseitig erwartete Geben durch den Angestellten vom Arbeitgeber implizit erwartet wird, führt zu dramatischen Effizienzverlusten für die Unternehmen.

Der allseits unter dem Buzzword „Share-Economy“ diskutierte Wandel der Produktions- und Konsumgewohnheiten reicht viel weiter als es diese rein betriebswirtschaftliche Sichtweise vermuten ließe. Die Demokratisierung der Energieversorgung, die steigende Bedeutung der Crowd bei der Sammlung von Investitionsmitteln für Startups und Unternehmen, die Regionalisierung der Lebensmittelversorgung oder die Einrichtung virtueller Tauschbörsen für Dienste und Güter sind Ausdruck des Bedürfnisses der Menschen nach einem sozial relevanten Teilen mit fremden Menschen und des Wunsches nach einer Zurückeroberung souveränen Handeln im eigenen Umfeld. Vermarktungsinteressen der Unternehmen, ständige Hacker-Angriffe auf heimische PCs und die Überwachungsaktivitäten der Regierung gegenüber der eigenen Bevölkerung oder anachronistische Vorschriften beim Agieren im Internet (Stichwort Störerhaftung) stehen diesem Wunsch der Menschen entgegen.

Wie geht es weiter?

Die Erfahrungen im persönlichen Umfeld zeigen eines: die Rücksichtslosigkeit staatlicher Akteure und wirtschaftlicher Entscheider im Umgang mit personenbezogenen Daten führt schon jetzt zu einem restriktiveren Umgang der Bürger und Nutzer – unabhängig von Internetaffinität und Bildungsstand – mit ihrer eigenen Kommunikation und den von ihnen verwendeten Inhalten. Verschlüsselungen und der Hinweis auf Telefonate statt des Mail-Austauschs sind Tendenzen im täglichen Miteinander, die ich eigentlich noch von Kontakten in die damalige DDR kenne. Damit aber werden demokratische Regierungen und übergriffige Internet-Firmen genau für ihr Verhalten langfristig bestraft, da sie schwieriger als zuvor an den von ihnen gesuchten Rohstoff – Daten – kommen. Vielleicht führt dies ja zu einem Umdenken. Mit Blick auf die oben beschriebenen Chancen, die der Einsatz von Daten für mehr Nachhaltigkeit eigentlich böte, wäre dies sehr zu begrüßen.

Der Beitrag basiert auf einem Treffen von Experten im Zuge des Foresight-Prozesses „Future Agenda“ zu dem übergeordneten Thema „Zukunft der Arbeit/Datennutzung“ im April diesen Jahres.

arbeitet seit 2002 bei der Bertelsmann Stiftung. Zuvor war er an den Universitäten Kiel und Göteborg und bei der Gewerkschaft ver.di tätig. Er baute in den letzten Jahren die internationale Bloggerplattform Futurechallenges.org auf, bloggt privat auf Globaler-Wandel.eu, ist Co-Founder der Menschenrechtsplattform Irrepressiblevoices.org (http://irrepressiblevoices.org/) und engagiert sich im virtuellen Think Tank Collaboratory. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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