Das Fernsehen ist tot, jedenfalls ein bißchen

Gastbeitrag von André Krüger aka Bosch

 

Mir geht es nicht gut. Ich bin krank, ich habe Fieber und liege im Bett. Ich greife zu meiner Fernbedienung, und nachdem ich mich eine Weile durch die Senderlandschaft gezappt habe, stelle ich fest: Dem Fernsehen geht es noch viel schlechter als mir. Wohin man auch schaltet: Gossentalk, Vergewaltigungsprozesse in Nachmittagsgerichtsshows oder Menschen in schlecht sitzenden Anzügen, die einem veraltete Mobiltelefone, nicht funktionierende Sparschäler oder lackschädigende Autopolituren verkaufen wollen. Abends wird das Schlimmste aus den Talkshows noch einmal recycelt, und es werden abwechselnd Wiederholungen von Seifenopern und Verfilmungen der „People-Magazine“ Bunte, Gala und Frau im Spiegel gezeigt. Der Unterschied zwischen Privatfernsehen und öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten lässt sich nur noch daran erkennen, dass in den Model-Casting-Shows der ersteren den häßlichen Entlein eingeredet wird, gar nicht so häßlich zu sein, wie sie zu sein glauben, während im Privatfernsehen sofort ein paar Kilo Silikon implantiert werden. Eine ganze Industrie von Castingshows formte in den vergangenen Jahren eine Armee von Superstars und -modellen; weit mehr als ein einzelnes Land verkraften könnte. Ihr Weg ins Big-Brother-Haus oder Call-In-Shows scheint bereits vorgezeichnet – das Fernsehen fungiert zunehmend als eine Art mediale Resterampe.

Die GEZetze der GEZ

Als vor einigen Jahren der erste von meinen Freunden sein TV-Empfangsgerät entsorgte, habe ich mich noch darüber gewundert, wie leicht ihm diese Trennung fiel. Das Schwierigste daran, so sagte er mir, sei die Abmeldung bei der GEZ gewesen, denn diese sieht ein Ausscheiden aus dem Kreise der Bewegtbildkonsumenten nicht vor. Deutlich wird dies nicht zuletzt daran, dass es bei der GEZ für alles ein Formular gibt, nur nicht für die Abmeldung. Nun hätte man meinen mögen, die Gebühreneinzugszentrale rüstete sich angesichts der konzertierten Qualitätsdefensive der Sender bereits für die, die dem Beispiel meines Freundes folgen werden. Doch anstatt ein Abmeldeformular zu entwerfen, erdachte ein kluger Kopf die Geräteklasse der „neuartigen Empfangsgeräte“, um es der öffentlich-rechtlichen Verwaltungsgemeinschaft zu ermöglichen, künftig auch TV-lose Computerbesitzer an sich zu binden.

Die Fernseh-Entsager sagen Nein!

Mittlerweile ist der Kreis derer um mich herum, die sich vom Fernsehen losgesagt haben, stetig wachsend. Ihre DVD-Sammlungen wurden größer und sie konsumieren unabhängig von festen Sendezeiten ein Programm nach ihrem Geschmack – bei Bedarf auch fremdsprachige Originalfassungen, ganz ohne holprige Zwangssynchronisationen. Doch mit der DVD ist die Entwicklung noch lange nicht an ihrem Endpunkt angelangt: Die Generation der heute 16-jährigen ist bereits damit aufgewachsen, mediale Inhalte aus dem Internet zu beziehen. Musik wird schon lange nicht mehr auf CD erworben, sondern aus dem Netz heruntergeladen. Immer schnellere Leitungen machen den Download ganzer Alben innerhalb von nur wenigen Minuten möglich – sofern ein vollständiges Album als Kunstform bei der Jugend überhaupt noch als solches gefragt ist. Eine ähnliche Entwicklung wird auch dem Fernsehen bevorstehen, da künftige Rezipientengenerationen daran gewöhnt sein werden, die gewünschten Inhalte zu jeder Zeit und an jedem Ort abrufen zu können. Das Fernsehen als Gemeinschaftserlebnis, über das man am nächsten Tag spricht, gehört schon heute angesichts der größer werdenden Sendervielfalt der Vergangenheit an und wird möglicherweise künftig nur noch bei großen Sportereignissen wie der gerade stattfindenden Fußball-Europameisterschaft von Bedeutung sein.

Die längste Media-Theke der Welt

Das ansonsten eher behäbige ZDF hat mit seiner Mediathek vor kurzem bereits gezeigt, wohin die Reise geht: nach ihrer Ausstrahlung sind sämtliche Eigenproduktionen des Senders für eine gewisse Zeit im Internet abrufbar. Die ARD folgte kürzlich mit einem ähnlichen, jedoch vergleichsweise rudimentären Angebot. Doch hierauf werden sich die Sender nicht ausruhen können: was vom Zuschauer verlangt wird, sind Sendeformate, die dauerhaft im Netz verfügbar sind – und das angesichts des immer mobiler werdenden Internets auch in Formaten, die dies unterstützen. Zusätzliche Kosten der Onlinebereitstellung und Klärung der Rechte – beides gern aufgeführte Gegenargumente, besonders der Öffentlich-Rechtlichen – müssen mit den Bedürfnissen der Konsumenten in Einklang gebracht werden. Dies sollte auf dem Hausaufgabenzettel der Sender ganz weit oben stehen.

Inhaltsleere wird durch Mogulation ersetzt

Aber nicht nur technisch, sondern auch inhaltlich müssen sowohl private als auch öffentlich-rechtliche Sender neue Antworten finden: Um langfristig bestehen zu können, dürfen sie sich nicht auf den wenigen noch funktionierenden Formaten wie Tatort oder Tagesschau ausruhen, sondern sie müssen einen Weg finden, um auch das junge Publikum an sich zu binden. Fehlte dem Videopodcast noch das nötige Fernsehgefühl, um sich zu einem Massentrend zu entwickeln, so kann über Internetdienste wie Mogulus oder Ustream heute schon jeder mit einfachsten technischen Mitteln und ohne Vorkenntnisse sein eigenes Fernsehen live in die Welt senden. Noch sind es wenige, die auch davon Gebrauch machen, doch die Anzahl derer, die eine unterhaltsame „Mogulation“ der hundertsten Castingshow vorziehen, wird weiter wachsen. Wenn die Generation Studi-VZ, die trotz aller berechtigter Bedenken damit vertraut ist, ihr Privatleben in sozialen Netzwerken zu offenbaren, erst die Möglichkeiten entdeckt, die das Internet schon heute bietet, um ein eigenes Fernsehprogramm zu machen, dann werden harte Zeiten auf die Fernsehsender zukommen.

Qualität muss man sich leisten wollen

Viele Rezipienten sind schon heute von dem Fernsehprogramm, das wir vorgesetzt bekommen, angewidert, einige sicher auch gelangweilt – schauen aber mangels Alternativen trotzdem zu. Doch irgendwann, wenn der letzte C-Prominente das letzte Insekt in irgendeinem Dschungel gefressen hat, werden auch die Fernsehsender feststellen, dass Konträrfaszination allein nicht ausreicht, um die Massen vor den Empfangsgeräten zu fesseln. An diesem Punkt wird sich entscheiden, ob eine Koalition aus Gebührenzahlern und Werbetreibenden auch inhaltlich die Programmmacher zur Vernunft bringen können, oder ob der Weg in Richtung einer Fragmentierung der Nutzungsgewohnheiten geht. Letzteres wäre die Stunde von Nischenkanälen im Internet und somit auch eine latente Gefahr für die wenigen noch existierenden Qualitätsformate. Kürzlich erst hat der RBB bekanntgegeben, dass Polylux, ein trotz aller Kritik gut gemachtes Magazin und Aushängeschild des Senders, aus finanziellen Gründen eingestellt wird. Nicht irgendeine Boulevardsendung wurde eingestellt, sondern Polylux, ein Format mit Anspruch fiel als erstes den finanziellen Zwängen zum Opfer – diese Entscheidung zeigt deutlich die Richtung, in die als erste abgeholzt wird, wenn die Gebührenzahler ausbleiben.

Noch ist das Fernsehen vielleicht nicht tot, aber im Moment liegt es auf der Intensivstation. Vielleicht brauchen wir einfach nur eine Castingshow für Super-intendanten, -programmdirektoren und -senderchefs.

ist freiberuflich als Medien- & Verlagsberater, Trainer und Medienwissenschaftler tätig. Schwerpunkte: Crossmedia, Social Media und E-Learning. Seine Blogheimat ist der media-ocean. Außerdem ist er einer der Gründer der hardbloggingscientists. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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18 comments

  1. Wenn das Fernsehen nicht endlich wieder Qualität und Niveau bringt statt unerträglicher Soaps, Dauer-Fußball- und anderer selbstverliebter Sport-Labereien, wenn es nicht endlich gründlich und sorgsam recherchierte Geschichten und Hintergrundberichte bringt und nicht gefärbte Gefälligkeitsreportagen, dann ist es in der Tat tot.

  2. Ich möchte auf Fernsehen nicht verzichten. Es kommt halt immer darauf an, was man oder frau sich aussucht. Und nur schlechte Beispiele herauszusuchen, um ein Medium herunter zu schreiben, ist ein bisschen billig.

    Es gibt nicht nur RTL, SAT1 und Pro7, oder die Öffentlich-Rechtlichen Programmangebote, die teilweise dem zweifelhaften Quotenerfolg hinterherlaufen. Es gibt auch arte, phoenix, 3sat und die dritten Programme der ARD, die oft auch gute Spielfilme, Dokumentationen oder weitere anspruchsvolle Programmangebote jenseits der niederen Instinktbefriedigung.
    Wäre das Fernsehen so, wie in diesem einseitigen Artikel beschreiben, wäre es in der Tat tot.

  3. @Markus: Keine Frage, es handelt sich bei dem obigen Beitrag um meine ganz subjektive Sicht auf das Fernsehen. Natürlich gibt auch abseits vom „Tatort“ einige lobenswerte Sendungen, nur muss man sie mit der Lupe suchen. Wenn man sich ansieht, wie einfach „Polylux“ aus finanziellen Gründen dem Tode geweiht wurde, während Bruce Darnells Sendung mit Millionenaufwand beworben wurde, dann ist das eine bedenkliche Tendenz.

    In den hochgelobten Dritten sieht das Programm bei näherer Betrachtung in etwa so aus (NDR, 24.06.2008, Auszüge):

    07:20 Rote Rosen: Telenovela
    08:10 Sturm der Liebe: Telenovela
    12:15 In aller Freundschaft: Die Mutprobe
    13:00 Sophie – Braut wider Willen: Telenovela
    13:25 Brisant: Das Boulevard-Magazin
    14:15 ARD-Buffet: Ratgeber für Leib und Seele
    16:10 Mein Nachmittag: Live-Magazin mit Informationen, Service und Aktionen
    20:15 Das große EM-Grillen: Live aus der Hamburger HafenCity
    22:00 Die größten Grand-Prix Hits aller Zeiten: Hitlisten des Norden
    00:00 Hausbesuche: House Calls
    01:30 Die Frau, von der man spricht: Woman of the Year
    03:20 Das große EM-Grillen: Live aus der Hamburger HafenCity
    05:05 Nordbilder: Die schönsten Kamerafahrten

    … und dazwischen jeweils ein paar Tierfilme und Regionalnachrichten – und morgen nochmal von vorn. Ich kann da im Großen und Ganzen keinen besonderen Anspruch erkennen.

  4. Die Dritten sind auch voll von guten Reportagen. Auf phoenix (Zweitverwertung bzw. Vorabausstrahlungen von Öff.-rechtl. Produktionen) läuft zur Zeit etwa in der Reihe „Legendäre Zugreisen“ der interessante Dreiteiler „Peru: Auf Schienen ins Reich der Inka“, morgen Abend kommt auf Bayern Drei ein guter Almódovar: „Sprich mit ihr“ („Hable con ella“). Könnte man beliebig so fortsetzen.

    Natürlich läuft auch viel Schrott im TV. Keine Frage. Und man fast sich an den Kopf, wer das sehen will und wer das für sehenswert erachtet. Aber ich kann doch auch nicht das Medium Buch verdammen – oder gar für bisschen tot erklären -, nur weil Jahr für Jahr unendlich viel Mist gedruckt wird. Da gilt es eben auch die guten und interessanten Bücher für sich auszuwählen. Und wie es im Buchmarkt Kanäle gibt, um sich zu orientieren, gibt es das auch fürs TV. Zum Beispiel Fernsehzeitschriften (empfehlenswert das arte-Magazin), Themenportale und nicht zuletzt Blogs. ;-)

  5. Das Problem ist, dass die, die bei deinem Artikel nun nicken, nicht die Masse sind und auch nicht (mehr) das Zielpublikum. Das Zielpublikum will Berieselung und glotzt weiter bis zum Untergang.

  6. zu den Kommentaren: Sicherlich gibt es noch – zum Glück! – einige gute Sendungen und sogar etwa zwei anspruchsvolle Sender. Ich fürchte jedoch, unsereiner, der nur diese schaut, vergißt leicht, daß das Nachmittagsprogramm und die um sich greifenden Ruf-an-und gewinn-Sendungen von der Mehrheit konsumiert werden.

  7. Also, gerade unter Tags ist das TV-Programm für debile Konsumenten zugeschnitten, deren IQ vermutlich gerade mal reicht, um die Fernbedienung zu bedienen. Jetzt frag ich mich: bekommt jede Gesellschaft jene TV-Sender, die es verdient? Und sind die lokalen TV-Sender das Spiegelbild der Gesellschaft?

  8. hat jemand den Film „free rainer“ mit Moritz Bleibtreu gesehen? Der behandelt das Thema von vorne bis hinten. Leider ist der Film an sich mehr als schlecht, aber die Thematik ist sehr spannend.
    Ich finde auch, dass es kaum noch etwas sehenswertes im Fernsehen gibt. Ich habe weder Lust auf Dauer-Phoenix, noch auf Dauer-Tierdokus- es darf auch mal etwas leichtes sein- natürlich- aber was einem da geboten wird (Reality-TV und Casting-Shows en mas, etc) ist doch mehr als Verdummung der kompletten Fernseh-Gemeinde. Was mir groß fehlt sind Produktionen mit Herz und mal wieder Filme, die nicht nur der Einschaltquoten wegen produziert werden. Der Sturm, die Flut, der Tunnel und wie sie nicht alle heißen. Groß produziert und immer derselbe Mist. Man weiß doch schon nach den ersten 5 Minuten, dass nach der Tragödie/Naturkatastrophe mit Liebesgeschichte alles gut wird. Gähn! Wieso werden diese Gelder nicht in innovative Fernsehformate gesteckt? Ich glaube nicht, dass es an Konzepten magelt, sondern lediglich am Mut und dem Willen der Produzenten, da diese nur noch die Dollar-Zeichen im Hirn haben. Sorry dafür!

  9. ich habe den eindruck das sich immer mehr männer vom fernsehen abwenden, das ja zusehend verweiblicht (frauenaffines fernsehen) – die zukunft gehört dem internet

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