Damals war’s… als ich in der Zukunft war

Als ich Ende 2011 von München nach Berlin zog, ließ ich nur mein schönes Zimmer im Schlachthofviertel links der Isar zurück, sondern auch meinen 100 Mbit/s-Internetanschluss, den ich damals seit rund einem Jahr von einem lokalen Telekommunikationsanbieter bezog. Diese Geschwindigkeit kannte ich bis dahin nur von meinem Arbeitsplatz bei CHIP Online, zu Hause war das ein vollkommen neues Erlebnis. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht las ich damals die Ankündigung der Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass „drei Vierteln der Bevölkerung bis 2040 das Internet mit einer Übertragungsrate von 50 Megabit pro Sekunde zur Verfügung“ soll. Auch noch nachdem die Jahreszahl im Redemanuskript von 2040 auf 2014 geändert wurde. Das Leben war schön, die Zukunft noch weit entfernt, aber ich an sich schon da. Zumindest was meinen Internetanschluss anging.

Ein Jahr später war ich in der Berliner Realität gestrandet. 16 Mbit/s, also nur bis unsere WG ein Volumen von 30 GB aufgebraucht hat, denn dann drosselte uns Vodafone, damit die eigenen LTE-Mobilfunkkunden ungestört surfen konnten. Noch einmal zwei Jahre später war Angela Merkel immer noch Bundeskanzlerin, die in meinen Münchner Tagen belächelten 50 Mbit/s kamen aber immer noch nicht aus meiner Leitung. Das Jahr 2040 wirkte auf einmal alles andere als ein Tippfehler. Morgen wird bei der Präsentation der „Digitale Agenda“ vom Jahr 2018 die Rede sein. Bis dahin soll es eine flächendeckende Übertragungsgeschwindigkeit von 50 Mbit/s geben. Alexander Dobrindt, der als ich das letzte Mal mit 100 Mbit/s surfte noch Generalsekretär der CSU war, hat nun als Verkehrs- und Infrastrukturminister dafür Gelder aus der künftigen Versteigerungen von Mobilfunk-Frequenzen in Aussicht gestellt.

Die Opposition zweifelt daran. Gegenüber Zeit Online sagte Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, dazu: „Die Ankündigungen in dieser ‚Agenda‘ klingen oftmals sinnvoll – ohne die Bereitstellung der nötigen finanziellen Mittel sind sie aber eben nicht mehr als Absichtserklärungen ohne Substanz und Aussicht auf tatsächliche politische Durchsetzung.“ Ähnlich sieht das Telekom-Deutschland-Chef Niek Jan van Damme, der den Netzausbau „von den politischen Rahmenbedingungen“ abhängig macht. Damit bis zur voraussichtlich nächsten Bundestagswahl der Ausbau schneller Internetzugänge auch in 65 Prozent der bundesdeutschen Haushalte abgeschlossen ist, braucht es zehn Milliarden Euro, wie van Damme im Gespräch mit dem Focus vorrechnete. „Für die letzten zehn Prozent brauchen wir weitere 15 Milliarden Euro.

Der Ausbau ist eine Notwendigkeit, wie auch die Situation in den USA zeigt, die mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 28,27 Mbit/s sogar noch einen Platz vor Deutschland (durchschnittlich 27 Mbit/s) im globalen Ranking liegen. Dort verpasst der Staat den Ausbau der Netze, was Internetunternehmen dazu bringt, ihre eigenen Netze zu verlegen, damit die USA „kein Dritte-Welt-Land wird, wenn es um Kommunikation geht„, wie es die Rechtswissenschaftlerin Susan Crawford formulierte. Etwas wie Googles Glasfaserprojekt Fiber ist aber hierzulande kaum vorstellbar, nicht im Land der Streetview-Verweigerer. Es wäre aber auch nicht vorteilhaft, wenn einige Gemeinden von einzelnen Unternehmen gefördert werden, andere nicht. Es braucht eine staatliche Lösung, die das gesamte Land an schnelles Internet anschließen möchte.

Die Telekom ist wohl der erste Ansprechpartner für die Politik, wenn es um den Ausbau der Infrastruktur geht. Doch das Angebot der Telekom ist nicht ka­ri­ta­tiv. Natürlich wird auch kein anderer Wettbewerber dazu bereit sein, ohne staatliche Zuschüsse in ländlichen Gebieten schnelle Anschlüsse zu bauen, grundsätzlich sollten Unternehmen aber nicht mit Steuergeldern unterstützt werden, damit diese ein Mangel erzeugendes und ausnutzendes Geschäftsmodell betreiben können. Die Drosselkom-Pläne der Telekom sind nicht vom Tisch und wahrscheinlich auch zu lukrativ, um sie aufzugeben. Ich ahne schon, dass die Telekom dann die Notwendigkeit von Netzneutralität umgehenden Tarifen ähnlich wie der Anwalt für Telekommunikation, George Foot, begründet  (siehe ab 3:16 in „Last Week Tonight with John Oliver: Net Neutrality„), denn dann gibt es Dank dem steuerfinanzierten Netzausbau „schnelles Internet für alle und hyperschnelles Internet für manche„. So oder so will der Staat den Telekommunikationsanbietern den Ausbau der Netze bezahlen, damit wir denen dann gedrosselte Tarife bezahlen können. Denn schon jetzt ist eine Drosselung des Netzzugangs von der Infrastruktur her nicht nötig, mit einem Argument wie „Schnelleres Internet kostet auch mehr Geld!“ aber besser zu bewerben.

Das es auch anders geht, zeigt das Beispiel Estland. In diesem die Digitalisierung nutzenden Staat wurde im Jahr 2009 schon beschlossen, als Folge der weltweiten Wirtschaftskrise, bis 2015 jeden Haushalt und jedes Gewerbe an ein 100 Mbit/s-Netz anzuschließen. Das Projekt „projekti EstWin“ wurde von der gemeinnützigen Estonian Broadband Development Foundation (ELA) koordiniert, in der estnische Telekommunikationsanbieter transparent zusammenarbeiten mussten. Ein Prinzip beim Netzausbau war deshalb übrigens Open Access, also dass die Infrastruktur allen Telekommunikationsanbietern zur Verfügung steht. Das ermöglicht zwar noch nicht Netzneutralität, sollte aber ein Anbieter das versuchen, kann immer noch zu einem anderen Anbieter gewechselt werden, ohne das die Leistung der Internetverbindung schlechter wird. Es wäre wünschenswert, wenn Alexander Dobrindt sich davon inspirieren lässt, bevor er der Telekom einfach die Milliarden zuschiebt.


Image (adapted) “High Speed Internet“ by ReindeR Rustema (CC BY-SA 2.0)


ist Coworking Manager des St. Oberholz und als Editor-at-Large für Netzpiloten.de tätig. Von 2013 bis 2016 leitete er Netzpiloten.de und unternahm verschiedene Blogger-Reisen. Zusammen mit Ansgar Oberholz hat er den Think Tank "Institut für Neue Arbeit" gegründet und berät Unternehmen zu Fragen der Transformation von Arbeit. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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