Cyberpunk 2077 – Zurück zum Hype

Mit 20 Jahren Gaming-Erfahrung auf den Schultern ist man schon ein wenig abgestumpft. Die Aufregung, der Hype kommender Spiele – es hält sich mittlerweile in Grenzen. Ohnehin wird man mit Informationen überflutet und das meiste hat man so schon irgendwo gesehen. Trotzdem gibt es da dieses eine Spiel, das wieder eine Vorfreude in mir auslöst, wie ich sie seit Ewigkeiten nicht mehr verspürt habe. Ein Spiel, das mich wieder ein Stück weit zum Kind werden lässt, das auf ein Spiel wartet, wie auf Weihnachten: Cyberpunk 2077.

Ich bin also doch nicht geschützt davor, dem Hype zu verfallen. Dieser Zustand, in dem man jede Information begierig aufsaugt und sich am liebsten schon gleich mit dem Spiel auf unbestimmte Zeit einschließen will. Irgendwie habe ich dieses Kribbeln vermisst. Natürlich gibt es immer wieder Spiele, auf die ich mich freue und denen ich richtig entgegenfieber. Doch selbst bei Red Dead Redemption 2 bin ich bis kurz vor Release noch erstaunlich entspannt geblieben.

Kleine Vorwarnung: Dieser Artikel kann Spuren von Fanboyismus enthalten sowie Spoiler aus den ersten bekannten Informationen zum Spiel.

Der verdiente Hype

Der Hype um das neue Spiel von CD Projekt kommt nicht völlig aus dem Nichts. Es ist das Ergebnis der vergangenen Jahre, in denen das Studio immer auf allerhöchstem Niveau abgeliefert und eine beispiellose Entwicklung gezeigt hat. Als 2007 der erste Teil der The Witcher-Reihe rauskam, nutzte man noch die alte Aurora-Engine von Bioware. Dem bis dahin unbekannten Studio gelang ein Achtungserfolg und machte sich gleich einen Namen für Community-Nähe durch das kostenlose Update auf die Enhanced Edition. Diese bot unter anderem neue Animationen, neue NSC-Designs und sogar neu geschriebene und vertonte Dialoge.

Der dritte Teil der Hexer-Saga (Provisionslink) griff dann erstmals das Open World-Genre an. Damals hatte ich ernste Zweifel, ob sich CD Projekt nicht an der Open World verheben könnte. Doch dann kam der Release und das Spiel setzte sich scheinbar mühelos auf den Genre-Thron. So gut hatte bislang kein Spiel eine offene Welt mit einer fesselnden und cineastisch inszenierten Geschichte verbunden. Nicht umsonst vergleiche ich es gerne mit einem spielbaren „Game of Thrones“. Es folgten zwei grandiose DLC, von denen Blood & Wine von seinem Umfang sogar mehr wie ein komplett eigenes Spiel anmutet.

Spätestens nach The Witcher 3 füllte CD Projekt Red für viele Rollenspiel-Fans die Lücke der Edelschmiede für großartiges Storytelling, die Bioware seit Übernahme durch Electronic Arts hinterlassen hat.

Es hat *Beep* gemacht

Mit meiner Vorfreude auf Cyberpunk 2077 bin ich bei weitem nicht allein. Der Ruf des polnischen Entwicklers und die treuen Fans des beliebten Pen & Paper-Rollenspiel-Settings haben die Erwartungen ins unermessliche geschraubt. Doch nach der Ankündigung 2013 wurde es erstmal still. Die Ressourcen wurden damals noch vor allem für die Fertigstellung der The Witcher 3-DLCs benötigt.

Fünf Jahre dauerte die Stille, bis sich Cyberpunk 2077 mit einem simplen „*beep*“ auf Twitter zurückmeldete. Und soll ich euch was sagen? Das Internet flippte aus! Ein einziges verdammtes *Beep* nach fünf Jahren erzeugte mehr Wirkung, als millionenschwere Werbe-Kampagnen dazu in der Lage gewesen wären.

48 Minuten Gameplay

Entsprechend groß war dann die Freude, als CD Project Red auf der E3 2018 der Presse erstmals Gameplay vorstellte. Ende August veröffentlichten sie das 48-minütige Gameplay dann auch für die Allgemeinheit. Das Internet flippte erneut aus! Der offizielle Stream stellte mit bis zu 288.000 Zuschauern einen Rekord auf und auch auf YouTube klickte es sich mehr als 16 Millionen Mal – die zahlreichen Reuploads anderer Kanäle außer Acht gelassen.

Auch ich habe das Gameplaymaterial gefeiert und sogar schon ein zweites Mal angeschaut. Vor allem die stimmige Welt, aber eben auch die Animationen konnten bereits in diesem sehr frühen Gameplay richtig überzeugen.

Keanu – Johnny Silverhands – Reeves

Nach bereits 48 Minuten Gameplay war klar, dass ein Trailer auf der E3 2019 keinen all zu großen Wow-Effekt auslösen kann. Wir sehen einen kleinen Ausschnitt der Story mit tollgemachten Cutscenes aus dem Spiel. Mich freut vor allem die lebendige Mimik der Charaktere. Auch als der Hauptcharakter in den Schwitzkasten genommen wird, hat man nicht das Gefühl, dass es nur einfache 3D-Modelle sind. Das Kinn drückt die Haut des Arms etwas zusammen, die Muskeln sind angespannt. Die Mundwinkel zucken immer schmerzlich wenn der Griff sich unangenehm verstärkt. Es sind kleine Details, die aber viel ausmachen.

Wirklich überraschen kann der Trailer aber eben nicht – bis zur Schlusssequenz. Nachdem der Hauptcharakter, offenbar von einem Schuss getroffen, sein Bewusstsein verliert, wacht er am Rand von Night City wieder auf. Eine Person kniet sich zu ihm runter und sagt „Wach verdammt nochmal auf, Samurai. Wir haben eine Stadt niederzubrennen.“ Der kurz leicht hologrammartig flackernde Mann kniet sich zu uns nieder und nimmt seine Sonnenbrille ab. Wer ihn nicht bereits an der Stimme erkannt hat, sieht ihn nun eindeutig: Die digitale Gestalt von Keanu Reeves. Und soll ich euch was sagen? Das Internet flippt schon wieder aus!

Und das war nur der Anfang! Auf der Bühne der XboxE3-Pressekonferenz sieht man in Nebel und Scheinwerferlicht plötzlich die Silhouette des beliebten Schauspielers, der schließlich die Bühne betritt. Der Saal tobt bereits bevor Keanu Reeves das Releasedatum verkündet: 16. April 2020. Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich die Szene sehe und wie das Publikum eskaliert.

Nebenbei erschafft Reeves auch noch, die Meme-Welt zu beglücken. Als er – zugegeben etwas unbeholfen, aber auch irgendwie sympathisch darüber redet wie „breathtaking“, also „atemberaubend“ es ist, sich in der Spielwelt zu bewegen ruft ein Fan „You’re breathtaking“. Mit ikonischer Pose antwortet Keanu Reeves „No you’re breathtaking“. Ein neues Meme wurde geboren und CD Projekt hat tatsächlich den Hype nochmals verstärkt.

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Nur rosarote Brille?

Hype muss nicht gleich bedeuten, dass man nicht auch einen kritischen Blick auf das Spiel werfen kann. Ich mache mir vor allem Sorgen, was die Fahrphysik angeht. Die sah im letzjährigen Gameplay nicht gut aus und machte ebenso in den wenigen Eindrücken der diesjährigen Version keinen all zu guten Eindruck. Bei diesem Aspekt sind aber bislang fast alle ähnlichen Spiele an GTA 4 und GTA 5 gescheitert, die einfach eine jeweils in sich verdammt stimmige Fahrphysik auf die Beine gestellt haben. Somit gehe ich davon aus, dass ich die Fahrzeuge in Cyberpunk 2077 eher als Mittel zum Zweck nutze, als jetzt bewusst eine Runde rumzucruisen.

Auch läuft Cyberpunk 2077 Gefahr, mit bekannten Schauspielern wie Keanu Reeves die Immersion der Spielwelt zu gefährden. Der Vorteil einer Spielwelt ist ja gerade, dass man selbst eigene Figuren erschaffen kann, ohne dass diese ein bekanntes Gesicht haben.

Auch Seitens der Presse gibt es bereits erste kritische Stimmen. Tom Marks von IGN zweifelt an Fahrphysik und Gunplay des Spiels und auch Charlie Hall von Polygon bemängelt die gezeigten Shooter-Mechaniken. Matt Cox von Rock Paper Shotgun moniert zudem eine sehr stereotype Darstellung der Charaktere mit rassistischen Zügen. Zumindest an dieser Stelle muss ich allerdings zugeben, dass ich kein politisch korrektes Cyberpunk-Spiel haben möchte und CD Projekt bereits bei The Witcher 3 bewiesen, dass sie kritische Themen von mehreren Perspektiven angehen und dabei lieber zu unterschiedlichsten Grautönen greifen als zu einer simplen Trennung zwischen offensichtlichem gut und schlecht. Nicht selten habe ich mich während einer Entscheidung bei The Witcher gefragt, ob das nicht am Ende die schlechtere Wahl war.

Der Hype-Schneeball oder geschickte PR-Arbeit?

Ist für den Hype um Cyberpunk 2077 überhaupt wirklich CD Projekt verantwortlich? Wenn ein einziger, kleiner Tweet eine Lawine losbrechen kann, ist eines klar: Wir helfen mit. Nutzer die diesen Tweet teilen, Magazine die darüber sofort berichten – das trägt alles mit dazu bei.

Das gleiche Spiel auf der E3, wo sich die Medien auch auf das Spiel stürzen und sich gegenseitig in ihrer Darstellung der Eindrücke überbieten. All das ist quasi kostenlose Werbung für CD Projekt Red. Sie müssen lediglich den Schneeball ins Rollen bringen, der dann von selbst immer riesiger wird. Allerdings beherrscht das Studio das Spiel mit dem Schneeball wie kaum ein anderes.

Sie sind sich ganz genau ihrer Community bewusst, auch wenn sie beim Beep-Tweet sicher noch nicht mit einer derart großen Reaktion gerechnet hätten. Wie gut sie ihre Community erkennen sieht man auch an den versteckten Botschaften, die in eigentlich jeder Veröffentlichung zu Cyberpunk zu finden sind. Auch im Unboxing-Video zur Collectors Edition war wieder ein solches Easter Egg versteckt. Dieser versteckte den Zugang auf einen SSH-Server. Findige Fans haben sich schnell Zugang verschafft und eine Textdatei entdeckt, in der Infos zu Cyberpunk, Gwent und GoG zu finden waren.

Darin erklärt CD Projekt unter anderem sehr offen, warum sie das neue Live-Gameplay erstmal nur der Presse zeigen: „Die sofortige Veröffentlichung des Gameplays würde die Präsentationen der Gamescom sinnlos machen und unsere Chance, einen Hype aufzubauen, erheblich einschränken. Warum müssen wir einen Hype aufbauen? Um mehr Spieler für CP2077 zu begeistern und sie hoffentlich davon zu überzeugen, es auszuprobieren.“

Wie gesagt: Der Hype ist ein Schneeball und CD Projekt weiß, wie man dem Schneeball optimale Bedingungen gibt. Die richtigen Informationen zur richtigen Zeit und dabei die Community trotzdem mit zu involvieren – beispielsweise mit versteckten Botschaften.

Kann ein Spiel diesem Hype gerecht werden?

CD Projekt Red hat sich selbst ein kleines Luxusproblem geschaffen. Die Erwartungen an Cyberpunk sind exorbitant hoch. So hoch, dass es schon richtig schwer wird, diesen auch gerecht zu werden. Um das zu tun, reicht kein „gutes Spiel“ aus – es muss schon ein Meisterwerk werden. Und selbst dann kann es sein, dass viele enttäuscht sind, weil sie nicht die eierlegende Cyberpunk-Wollmilchsau bekommen.

Trotzdem springe ich gerne auf den Hypetrain auf. Selbst wenn das Spiel am Ende enttäuschen sollte, kann einem niemand die Vorfreude nehmen, die man zuvor empfunden hat. Aber ich bin mir sicher, das Cyberpunk 2077 erneut die Messlatte wird, an dem sich die Genre-Konkurrenz messen wird. Ich erwarte nicht, dass es reinen Shootern den Rang abläuft oder das Rollenspiel an sich mit innovativen Systemen komplett neu erfindet. Ich erwarte vor allem grandioses Storytelling in einer offenen und lebendigen Welt. Und ich bin mir bewusst, dass die Erfahrung eine andere wird als in The Witcher 3. Dieses hatte nämlich den Vorteil auf einen festen Charakter zurückgreifen zu können, sowie seine Freunde, Feinde und Liebschaften. Ein freier Charakter stellt ganz andere Herausforderung an das Storytelling.

Zehn Monate gilt es bis zum Release nun durchzustehen. Verglichen mit der langen Entwicklung ist das aber schon fast ein Katzensprung. Außerdem wird es nun öfter neue Informationen zum Spiel geben. Zum Glück hatte ich gleich nach der Release-Bekanntgabe die Collectors Edition vorbestellt. Kurz darauf war diese nämlich schon vergriffen. Es freut mich übrigens, dass gerade ein Singleplayer diesen Hype auslöst. Manch großes Studio sieht Singleplayer-Spiele ja auf dem absteigenden Ast. Aber soll ich euch was sagen? Ist es nicht.

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Image by CD Projekt

Das Internet ist sein Zuhause, die Gaming-Welt sein Wohnzimmer. Der Multifunktions-Nerd machte eine Ausbildung zum Programmierer, schreibt nun aber lieber Artikel als Code.


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