CULTURE&VIDEO TIPPS vom 7. November

Heute bei Culture&Video: Stephen Fry bereist die Welt und stellt Fragen, Videokunst zeigt das wahre Leben und faszinierende Bilder aus einem nicht ganz so alten China. // von Hannes Richter

   

Culture&Video durchforstet das Netz nach bewegten Bildern, die bewegen. Dabei werden nicht nur der letzte virale Hype, neue Videos aus Kultur und Musik oder gar ganze Spielfilme und Dokumentation vorgestellt. Auch der Kontext ist immer mit dabei. Mit Hintergrundinfos und interessanten Links, oft auch einem total subjektiven Kommentar präsentiert die Rubrik aktuelle Video-Highlights.

HINGEHEN, WO ES WEHTUT: Stephen Frys Out There

Es kommt einem schon wie eine Binsenweisheit. Trotz Homoehe und frivoler Christopher-Street-Umzüge: Schwule und Lesben, Transgender und Queers haben oft Probleme, offen zu leben. Sie werden noch immer verfolgt und benachteiligt. Dies geschieht auch hierzulande, besonders aber in einer großen Anzahl von Ländern, in denen auch der Staat mitmacht oder ein feindliches Klima in der Gesellschaft Homophobie und Gewalt begünstigt. Doch Schauer-Nachrichten aus solchen Ländern bleiben häufig abstrakt. Stephen Fry geht in dieser BBC-Dokumenation selbst hin, getrieben von einer ehrlichen Neugier. Der britische Über-Intellektuelle, in Fernsehshows und Comedy-Serien genauso zu Hause wie auf Universitäts-Podien und am Schreibtisch, möchte wissen, woher der Hass kommt. Er möchte sich vor Ort ein Bild machen, spricht mit Betroffenen und vor allem: stellt die Demagogen zur Rede. Leute, die ihn „am liebsten hinter Gittern sehen würden“, wie er nervös vor einem Interview mit einem hasserfüllten Pastor aus Uganda feststellt. Auch nach Russland reist Fry, dort trifft er ein lesbisches Paar mit zwei Kindern. Die Eltern brechen fast täglich das neue Gesetz, das „homosexuelle Propaganda“ gegenüber Minderjährigen verbietet. Überraschend stimmt einer der Urheber des Gesetzes, der Stadtverordnete Witali Milonow, einem Gespräch zu. Dabei stellt Fry die Ignoranz und Dummheit des Politikers bloß („Do you know, you’re making a fool of yourself in front of the camera. People from all over the world will see this.“) und nutzt in einem der stärksten Momente des Zweiteilers die Gelegenheit vor der versammelten Presse ein flammendes Statement abzugeben. Offensichtlich ruft der Besuch des Stars ein hohes Interesse hervor.

Out There ist eine sehr persönliche Bestandsaufnahme der weltweiten Situation von Menschen, die auf Grund ihrer Sexualität verfolgt werden. Sie lebt von Stephen Frys sympathischer Art, mit der er sich auf seine Aufgabe stürzt. Als während eines Aufsagers auf den Straßen Mumbais eine Regenbogenfahne an einem Shop auftaucht, unterbricht er und rennt hin. Ein spannendes Gespräch folgt, bei dem auch die Folgen der  britischen Moralvorstellungen während der Kolonialzeit zur Sprache kommt. Nur einer von vielen tollen Momenten der Dokumentation. Mission Accomplished, Stephen Fry.


VIDEOKUNST: Ryan Trecatins Center Jenny

Von Ryan Trecartin hat die Kunstwelt hierzulande noch recht wenig gehört, zumindest abseits von Tranny-Expat-WGs und szenigen Abbruchkneipen in Berlin-Neukölln. Dem 32-jährigen Videokünstler begegnet man in den USA aber seit Jahren schon in den bekanntesten Galerien und Museen, bei der New Yorker Whtiney-Biennale war er bereits 2006 vertreten. Irgendwie gehören seine fast manisch schnell geschnittenen Aneinanderreihungen von amerikanischen Vorstadtklischées und Selbstdarstellungsmechanismen der Youtube-Generation aber auch eher ins Internet (um dann genau in den WGs und Kunstsalons des 21. Jahrhunderts hoch und runter zu laufen). Auf seinem Vimeo-Kanal präsentiert Trecartin seine Werke selbst und wer sich einmal dahin verirrt, bleibt hängen (oder klickt sofort weiter). Und ich empfehle dran bleiben. Nach einer Weile fangen die Charaktere mit ihren ständigen selbstbezogenen Zustandsbeschreibungen und nur auf den ersten Blick (oder gerade doch?) oberflächlichen Verbalangriffen auf den guten Geschmack an, Sinn zu machen.

Der Künstler erschafft eine eigene, überraschenderweise komplett durchdachte und nahezu greifbar logische Welt aus Referenzen und ständiger Wiederholung in Jump-Suit, rosa Hoodies und Plateau-Stillettos. Ryan Trecartin kommentiert damit nicht nur den Zeitgeist, er trägt ihn so dick auf, dass er von selbst stehen kann. Mit Center Jenny war er auf der Biennale in Venedig vertreten. Die Online-Viedokunst-Plattform Vdrome präsentiert noch bis zum 8. November Trecartins neuestes Werk zusammen mit einem umfassenden Editorial. Während der Dreharbeiten besuchte das Magazin Art in America den Künstler und führte ein aufschlussreiches Gespräch. Center Jenny ist auch bei Vimeo zu sehen.


AUF ENGSTEM RAUM: Chinas Kowloon City

Immer mal wieder rauschen die Bilder der Kowloon Walled City  durch das Internet, wie hier bei der Daily Mail oder 2010 bei Spiegel Online (Eines Tages). Der wahrhaftige Moloch einer Stadt vor den Toren Hong Kongs wurde 1993 abgerissen. Unglaubliche 33.000 Menschen lebten dort auf einer Fläche von 0,02 Quadratkilometern. Die Zahl ist unfassbar, die Bilder sind faszinierend. Doch während die Fotostrecken in großen Medien und Blogs überall zu finden sind, ist diese Dokumentation eines deutschen Fernsehteams von 1989 recht unbekannt. Tatsächlich scheint es sich um die einzigen bewegten Bilder aus der Walled City zu handeln. Nie zuvor hatte sich ein Fernsehteam dort hinein gewagt und sogar mit Bewohnern gesprochen, die wohl allesamt mit dem Gesetz nicht ganz im Reinen sind, wie der Sprecher in traditionellem deutschen 80er-Fernsehdoku-Ton nicht müde wird zu betonen. Natürlich sind die Bilder beeindruckend bedrückend, faszinierender aber sind die Menschen, die dort leben und die Geschichten hinter den Mauern.


Image by Jidanni (CC BY-SA 3.0)

wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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