Die Bürgerrechts-Bewegung braucht alle Freunde der Freiheit

Auf die Bürgerrechts-Bewegung kommen große Herausforderungen zu. Angesichts der Flut neuer Überwachungsgesetze und anderer politischer Entwicklungen, die die Freiheit bedrohen, wird ein organisierter Protest mehr denn je gebraucht. Dazu ist es aber nötig, alle, die die selben Werte teilen, mit ins Boot zu holen. Stattdessen wird leider häufig entlang der falschen Fronten gekämpft und argumentiert: Nerds gegen Internetausdrucker, technikaffine gegen weniger technikaffine Menschen. Das muss aufhören.

Große Herausforderungen stehen bevor

Eine Zeit lang schien es, als seien alle großen Diskussionen der Datenschutz- und Bürgerrechts-Bewegung geführt, als sei fast alles irgendwie entschieden. Nun jedoch kommen viele dieser Themen in der einen oder anderen Form wieder auf die politische Tagesordnung. Die 2010 vom Bundesverfassungsgericht auf Eis gelegte Vorratsdatenspeicherung wurde Ende vergangenen Jahres wieder eingeführt – zwar mit Modifikationen, aber nach wie vor gefährlich und ein massiver Eingriff in die Privatsphäre. Die neuen „Crypto Wars“ bringen den Versuch, Verschlüsselung (eines der wichtigsten Werkzeuge gegen Telekommunikations-Überwachung) zu kriminalisieren und als Werkzeug von Kriminellen zu diffamieren. Auch die Geheimdienst-Politik in Deutschland gibt Anlass zur Besorgnis, sei es beim neuen Anti-Terror-Gesetzespaket oder bei der BND-Reform.

Probleme genug also, die angegangen werden müssen, und eine Menge Gelegenheiten, sich zu engagieren. Angesichts der aktuellen Politik der Sicherheit um jeden Preis braucht unsere Gesellschaft dringend Leute, die andere Werte, und namentlich die Bürgerrechte, einfordern und verteidigen.

Sinnlose Grabenkämpfe

Dazu allerdings müssen sich alle, die die aktuelle Sicherheitspolitik für verfehlt und gefährlich halten, zusammentun. Aus ethischen, aber auch aus rein praktischen Gründen ist es angeraten, jeden, der die selben Werte – nämlich Freiheit, offenen Dialog und den Schutz individueller Rechte gegen überbordende staatliche Kontrolle – teilt (und sich nicht durch andere politische oder weltanschauliche Positionen, etwa rechte Ansichten oder das Vertreten extremer Verschwörungstheorien, selbst disqualifiziert) mit ins Boot zu holen.

Leider ist oftmals nicht der Fall. Stattdessen werden sinnlose Grabenkämpfe geführt oder Menschen aufgrund von Eigenschaften und Ansichten, die mit den Bürgerrechten wenig bis gar nichts zu tun haben, als Verbündete nicht ernst genommen oder schlichtweg abgeschreckt.

Ein Großteil der Bürgerrechts-Bewegung setzt sich seit Jahren aus (relativ) jungen, technikaffinen Menschen zusammen. Über die ursprünglichen Gründe kann nur spekuliert werden. Womöglich fällt es vielen Menschen leichter, Probleme, die mit der Überwachung (insbesondere) von Telekommunikation einhergehen, zu erkennen, wenn sie auch die technischen Grundlagen dieser Kommunikationsmittel und ihrer Überwachung begreifen.

Vielleicht fördert der individualistische, auf Freiheit ausgerichtete, teils anarchistische Charakter der Hacker-Kultur eine kritische Auseinandersetzung mit staatlicher Kontrolle. Oder es fällt Menschen, die ganz selbstverständlich Blogs, Messenger und Social Media nutzen, schlichtweg leichter, sich zu organisieren und zu vernetzen, so dass aus ihrer politischen Kritik eher eine aktivistische Bewegung wird.

Was auch immer die ursprünglichen Gründe für dieses Phänomen sind, es ist Zeit, die Bewegung zu verbreitern und diverser zu machen. Interdisziplinäre Teams erreichen bei derart komplexen Problemen fast ausnahmslos die besten Lösungen und können diese auch an verschiedene Zielgruppen kommunizieren. Je unterschiedlicher die Menschen, die einer Bewegung angehören, sind, desto mehr verschiedene Blickwinkel und Ideen fließen in das Gesamtergebnis ein, und desto mehr verschiedene Fähigkeiten können zur Lösung von Problemen genutzt werden.

Leider scheitert dies mitunter an der mangelnden Bereitschaft einiger Alteingesessener der Szene, auch auf Menschen zuzugehen, die keine Computerfreaks sind. Da wird gerne einmal unterstellt, wer nichts mit IT am Hut habe, sei auch kein Verbündeter. Die älteren Menschen, die „Internet-Ausdrucker“, sind der Feind. Dabei ist diese Trennung in „die coolen jungen Hacker“ und „die alten Internet-Ausdrucker, die die Freiheit hassen“ nicht nur Unsinn, sondern sogar gefährlicher Unsinn (und das nicht nur, weil es natürlich auch so einige sehr technikbegeisterte Senioren gibt, ebenso wie Teenager, die sogar mit ihrem Smartphone überfordert sind).

Natürlich ist es lustig, wenn eine Frau Merkel ungeschickt über das „Neuland“ Internet philosophiert. Womöglich ist diese Unwissenheit sogar einer der Gründe dafür, dass die aktuelle Netzpolitik so inkompetent ist. Das wirkliche Problem aber liegt tiefer, es liegt im Verhältnis der Beteiligten zur Macht, zu Autoritätsstrukturen und deren Durchsetzung und in dem Glauben, dass der Zweck einer möglichst großen Sicherheit vor Kriminalität nahezu jedes Mittel rechtfertigt. Es liegt in mangelndem Respekt vor Freiheit, nicht darin, nicht genau zu wissen, was ein Browser ist, oder sich im Internet nicht recht wohlzufühlen.

Die Mächtigen wissen genau, was ihre Überwachung bewirkt, auch wenn sie womöglich deren technische Einzelheiten nicht begreifen (was sie auch nicht unbedingt müssen, denn dazu gibt es Experten). Sie versuchen das Internet nicht verzweifelt zu unterwandern, weil sie es nicht verstehen, sondern weil sie nur zu gut verstehen, dass es sonst mit seiner globalen, dezentralen, nicht hierarchischen Struktur zur Bedrohung für die herrschenden Verhältnisse werden kann. Sie überwachen, weil sie (noch mehr) Kontrolle und Macht wollen, nicht, weil sie keinen Computer bedienen können. Das ist der wichtige Punkt.

Nerdtum allein reicht nicht aus

Ebenso sollte auch die Gegenseite nicht über technische Fähigkeiten definiert werden. Fähigkeiten mit Programmiersprachen, Linux und Verschlüsselung sind wertvoll und anerkennenswert und helfen, beispielsweise im Bereich digitaler Selbstverteidigung, auch im Kampf gegen Überwachung und Zensur. Sie machen aber niemanden zu einem besseren Menschen oder automatisch zum Kämpfer für die Freiheit (ebenso wenig, übrigens, wie Informatiker zwangsläufig intelligenter sind als Experten anderer Gebiete, auch wenn sich einige gern so verhalten). Das zeigen Fälle wie der des Ex-Hackers Adrian Lamo, der die Whistleblowerin Chelsea Manning an das FBI verraten hat. Auch die tausenden Ex-Kollegen Edward Snowdens, die nicht die Öffentlichkeit über die Machenschaften der Geheimdienste informieren, sondern einfach weiter ihrem Job nachgehen und immer neue Überwachungs-Werkzeuge programmieren, sind wohl kaum alle heldenhafte Kämpfer für die Bürgerrechts-Bewegung.

Dagegen könnte beispielsweise die nette ältere Dame, die sich noch gut an die Volkszählungs-Proteste in den 1980er-Jahren erinnert, mit ihrer Lebenserfahrung und Kenntnis vieler politischer Situationen durchaus eine sehr wertvolle Verbündete sein. Sie wird aber nicht erreicht, wenn ihr am Infostand sofort erzählt wird, dass eigentlich alle Aktivisten etwas mit IT zu tun haben.

Das heißt natürlich nicht, dass nicht versucht werden sollte, Menschen auch über die technischen Aspekte des Datenschutzes aufzuklären. Diese helfen häufig beim Verständnis der Problematik. Zudem ist digitale Selbstverteidigung, etwa die Nutzung verschlüsselter Kommunikationsmittel, derzeit dringend erforderlich, um die eigene Privatsphäre zu schützen. Das sollte Mitstreitern natürlich beigebracht werden, wobei die Technik-Nerds ihre Fähigkeiten bestens einsetzen können. Aber diese Gespräche müssen respektvoll und auf Augenhöhe geführt werden – und sie müssen nicht unbedingt das erste sein, mit dem Interessierte begrüßt werden.

Vereint euch!

Es stehen viele wichtige Kämpfe um den Stellenwert von Datenschutz, Bürgerrechten und individuellen Freiheiten in Deutschland und Europa bevor. Um diesen Kampf erfolgreich zu führen, werden die Fähigkeiten und das Engagement aller Gleichgesinnten gebraucht – und das sind auch diejenigen, die Computer kein bisschen, die Freiheit aber umso mehr lieben.

Einige Aktivisten müssen endlich über ihren Schatten springen und eine Ansprache finden, die nicht das „nerdige“, sondern die gemeinsamen Ziele und Werte in den Vordergrund stellt. Die Zeiten sind politisch zu schwierig, um auf Mitstreiter und deren Beiträge zu verzichten. Schließt euch zusammen und lernt voneinander. Nur so können wir die Zukunft in unserem Sinne mitgestalten.


Image „Student’s mass protest Taiwan“ by Artemas Liu (CC by 2.0) via Flickr


schreibt regelmäßig über Netzpolitik und Netzaktivismus. Sie interessiert sich nicht nur für die Technik als solche, sondern vor allem dafür, wie diese genutzt wird und wie sie sich auf die Gesellschaft auswirkt.


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1 comment

  1. Wo stehen denn die Netzaktivisten? Sie tanzen um die heilige Kuh des freien Netzes und fordern davon ausgehend eine Abschaffung des Urheberrechts oder den Untergang der freien Presse zugunsten der Verdienstmöglichkeiten cooler Startups wie Google. Zugespitzt formuliert kämpft man für einen mächtigeren Plattformkapitalismus, gegen bürgerliche Freiheitsrechte (das Urheberrecht ist immerhin ein Menschenrecht) und für eine Desinformation der Bevölkerung. Alles eher faschistoide Forderungen, deren negative Konsequenzen längst sichtbar sind: Google (incl. Youtube) ist das wertvollste und mächtigste Unternehmen der Welt, die Umsätze der Musikschaffenden sind bis zur Marginalisierung der (Pop-)Musikkultur eingebrochen, wir erleben ein Zeitungssterben, sowie eine generelle Prekarisierung all derjenigen, die Inhalte im Netz erschaffen (außer vielleicht Springer) und nicht zuletzt eine Desinformation weiter Bevölkerungsteile durch Lügenpropaganda rechter Gruppierungen in den sozialen Netzwerken. Insbesondere Letzteres wächst sich bereits zu Katastrophen aus, siehe Brexit und die darauf folgende Errichtung der weltweit ersten (größeren) Idiokratie, sowie brennende Flüchtlingsheime. Dass der zeitraubende Medienkonsum im Netz ebenfalls ein negatives Massenphänomen ist, sei nur am Rande erwähnt.

    Das Netz mag in vielerlei Hinsicht praktisch sein, vorerst scheint aber der gesellschaftliche Schaden durch das Netz eher größer zu sein als der Nutzen. Vielleicht wäre der Rechtsstaat, den man selbstverständlich gerne immer wieder kritisieren und verbessern sollte, ein guter Partner, um längst erkämpfte Grundrechte auch im Netz zu sichern. Allerdings wird ja gerade die staatliche Regulierung grundsätzlich angefeindet. Dies mag zwar der freiheitskämpferischen Tradition entsprechen, ist in der gegebenen Situation aber weitgehend unangemessen und kontraproduktiv. Globale Schwergewichte wie Google agieren dadurch in einem de facto nahezu rechtsfreien Raum.

    Damit wären wir vielleicht beim wunden Punkt der Netzaktivisten angekommen. Man mag ein Experte auf seinem computertechnischen Spezialgebiet sein, aber es fehlt eklatant an Bildung in allen anderen Bereichen. Dies führt nicht nur dazu, dass die realen Verhältnisse im Netz verkannt werden, sondern auch zu solchen lächerlichen Aktionen, wie der Gründung einer Piratenpartei, deren einziger Programmpunkt die Abschaffung des Menschenrechts auf Urheberschaft und eine damit einhergehende Schädigung der Musikkultur ist. Sowas kommt dabei raus, wenn politische Bildung alleine auf dem kostenlosen Herunterladen eines drittklassigen Hollywoodschinkens („V wie Vendetta“) basiert. Anschließend fühlt man sich dann animiert Guy Fawkes-Masken zu tragen und in heldenhaftem Wahn von gesprengten Parlamenten zu träumen, verurteile Verbrecher wie die faschistoiden PirateBay-Gründer zu verehren und dem Wirrsinn des narzisstisch gestörten Lawrence Lessig zu folgen.

    Tut mir leid, aber um gemeinsam an einer besseren Welt zu arbeiten, müssen unsere Netzaktivisten erstmal die Shyce aus ihren Köpfen kriegen. Auf dass sich nicht auch die nächste Generation aktiver junger Leute in schwachsinnigen Grabenkämpfen für die falsche Seite aufreibt.

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