Anders wirtschaften: assoziativ

Ist solidarisches Handeln in der Wirtschaft eine Illusion, eine hoffnungslose Träumerei? Oder ist es eine Notwendigkeit, um dem von Egoismus und Bereicherungswut geprägten Wirtschaftsleben etwas entgegenzusetzen, das mit dem mündigen Menschen und den Möglichkeiten seiner Vernunft rechnet? Ein paar grundsätzliche Überlegungen – und ein paar Beispiele der solidarischen Wirtschaft aus der Praxis…

Warum eigentlich ist die Selbstbehauptung in der heutigen Wirtschaft derart auf die Spitze getrieben? Weil nur so das Überleben des einzelnen gesichert ist? Weil man nur dem Egoisten Leistungsfähigkeit zutraut?  Oder vielleicht gar weil zu Recht nur der Stärkste überleben soll, wie in der Natur und – angeblich – gemäss dem ehernen Gesetz des (Sozial-)Darwinismus?

Allein die Tatsache, dass das Dogma der allein selig machenden Konkurrenzwirtschaft aus dem 18. Jahrhundert stammt (Adam Smith, 1723 – 1790), müsste eigentlich zweifeln lassen an der Richtigkeit des Konzeptes für unsere heutige Wirtschaft. Doch auch wesentlich handfestere Erfahrungstatsachen aus der Gegenwart weisen darauf hin, dass das Wirtschaftsgeschehen neue Impulse braucht, um endlich und auch in Zukunft seiner zentralen Aufgabe gerecht zu werden, nämlich die Versorgung aller Menschen dieser Erde in optimaler Weise zumindest anzustreben, aber eigentlich zu gewährleisten.

Bewusste Gestaltung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit

Dass in der heutigen Wirtschaft einiges schiefläuft, muss nicht näher erläutert werden. Ein wichtiges Moment dieser Fehlentwicklung ist meines Erachtens, dass trotz vermehrter Arbeitsteilung, also Zusammenarbeit – sie ist ja inzwischen weltumspannend – die Ausbildung des Interesses zwischen den einzelnen Wirtschaftsteilnehmern, insbesondere zwischen den Produzenten und den Konsumenten, nicht mithalten konnte. Die weltweite Arbeitsteilung verbindet zwar die Menschheit zu einem Ganzen. Zugleich zerschneidet sie den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Produktion und Bedarf, wie er in früheren Zeiten quasi natürlich gegeben war. Es ist deshalb notwendig, diesen Zusammenhang bewusst zu gestalten.

Weder Marktwirtschaft noch Planwirtschaft geben darauf eine angemessene Antwort: Während die Marktwirtschaft statt auf ökonomische Vernunft der Marktteilnehmer auf eine mechanische Selbstregulierung des Marktes durch Angebot und Nachfrage setzt, will die Planwirtschaft Preis und Angebot bürokratisch und von oben herab steuern. Beide Varianten entmündigen die Marktteilnehmer und sprechen ihnen ihre ökonomische Vernunft ab. Das führt zu Ungleichgewichten und Fehlentwicklungen, wie wir sie immer wieder im Wirtschaftsgeschehen beobachten müssen.

Assoziationen als neue Wirtschaftsorgane

Doch nur die wirtschaftenden Menschen selbst können sinnvolle, tragende Beziehungen der Kooperation eingehen. Nur sie wissen aus der täglichen Erfahrung, wie der Bedarf genau aussieht; nur sie kennen die Produktionsbedingungen und -möglichkeiten aus eigener Anschauung. Warum also sollen nicht sie, nämlich die Erzeuger, die Verbraucher und der Handel, in Assoziationen zusammenarbeiten – regional oder branchenbezogen – und so, indem sie den Preis und die Menge der Produkte aushandeln, zum entscheidenden Gestaltungselement der Wirtschaft werden?

Sie bilden so eine Art neue Organe im Wirtschaftsgeschehen, die zunächst der Begegnung und des Austausches dienen. Das gegenseitige Wahrnehmen der Lebensbedingungen, die Ausbildung des Bewusstseins füreinander stehen im Zentrum dieser Assoziationen. Das allein ist schon ein Paradigmenwechsel, wird doch so eine Art Brüderlichkeit – das Interesse am Gegenüber ist Ausdruck davon – ins Wirtschaftliche eingeführt. Assoziationen dienen sodann der Selbstverwaltung der wirtschaftlich Tätigen. Da jedoch die weit fortgeschrittene Arbeitsteilung zu einer Aufsplitterung des wirtschaftlichen Erfahrungsfeldes führt, funktioniert das – mit Blick auf das Ganze – nur, wenn sich die Erfahrungen und Kenntnisse gegenseitig ergänzen. Die Praxisvertreter (Erzeuger wie Verbraucher) bilden so einen Raum des Erfahrungsaustausches, in dem sich – immer in Bezug auf die regionalen oder branchenbezogenen Besonderheiten – ein Gemeinsinn entwickeln kann, der dem Wirtschaftsgeschehen eine sachbezogene Vernunft einhaucht. Dies ist kein Endziel, sondern ein andauernder, lebendiger Prozess, der sich immer wieder den wechselnden Gegebenheiten anpasst. Dieser Prozess führt in den Assoziationen zu verbindlicher Zusammenarbeit zwischen Konsumenten, Produzenten und Händlern, die so eine Vertragsgemeinschaft bilden. Diese Vereinbarungen und Verträge sind Teil und Essenz des oben beschriebenen Prozesses und Ausdruck der gemeinsam getragenen sozialen und ökologischen Verantwortung.

Ein zentraler Aspekt des Wirtschaftsgeschehens ist der Preis eines Produkts. Erst wenn sich darin die tatsächlichen Kosten und die gegenseitigen Interessen von Verbrauchern und Erzeugern abbilden, kann man von einem gerechten Preis sprechen – gerecht nicht in einem streng ethischen Sinn, sondern vielmehr in einem ökonomischen Sinn, indem der (gerechte) Preis die Gleichgewichtsbedingungen des ökonomischen Lebens zentral beeinflusst. Assoziationen sind deshalb auch Organe des Preisgesprächs. Und weil sie auf verbindliche Vereinbarungen bezüglich Preis, Mengen und Bedingungen der Warenproduktion und des Verbrauchs abzielen, dienen Assoziationen auch dem Schutz der daran Beteiligten.

Beispiele

Dass assoziative Wirtschaftsformen gerade im Schlachtfeld der heutigen Wirtschaft wie zarte Pflänzchen aufkeimen und inzwischen trotz eisigem Wind vielfältige Blüten und Früchte tragen, widerlegt ganz konkret den manchmal mit mitleidigem Lächeln vorgetragenen Vorwurf, es handle sich bei der assoziativen Wirtschaft um eine schöne Träumerei. Die folgenden Beispiele sind nur ein kleiner Ausschnitt der weltweiten und vielfältigen Bestrebungen in Richtung einer assoziativen Wirtschaft.

Der Gedanke des fairen Handels und die vielfältigen Organisationen – und oft eben Assoziationen –, die sich auf dieser Basis gebildet haben, beruhen vielfach auf den Ideen der assoziativen Wirtschaft. So importiert und vertreibt zum Beispiel gebana seit dreissig Jahren Bio-Lebensmittel aus ökologischer Landwirtschaft des Südens zu fairen Bedingungen.

Doch auch regional geniessen Assoziationen immer stärkeren Zulauf, insbesondere in der sogenannten Vertragslandwirtschaft. Hier schliessen Produzenten und Konsumenten im Rahmen eines Vereins oder einer Genossenschaft einen Vertrag ab, in dem festgelegt wird, was, wie viel, von welcher Qualität, wann, wie lange und zu welchem Preis produziert und gekauft wird. Bauernhöfe und KonsumentInnen – gerade auch in städtischen Gebieten – vernetzen sich so kleinräumig, was für beide Seiten handfeste Vorteile hat: die KonsumentInnen haben – meistens über das ganze Jahr – frische Landwirtschaftsprodukte in garantierter Qualität (Produktionsart) und zu günstigen Bedingungen; die ProduzentInnen haben faire Preise und eine garantierte Abnahme ihrer Produkte und können sich dadurch auch sinnvoll weiterentwickeln; die Ernährungssouveränität sowie die soziale und ökologische Nachhaltigkeit wird gestärkt. Beispiele für die Schweiz sind: Soliterre in Bern, Ortoloco in Zürich, der Birsmattehof in Basel und das StadtLandNetz in Winterthur.

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Natürlich sind das alles bescheidene Ansätze, zumal im Zahlenvergleich mit der globalisierten Wirtschaft. Doch die Beispiele sind mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf den heissen Stein. Zunächst, weil die Initiativen nicht verdampfen, sondern sich im Gegenteil bewähren und immer mehr Zulauf haben. Aber auch weil die vorherrschende Wirtschaft immer unverhüllter ihre menschenverachtende Seite offenbart und in der assoziativen Wirtschaft ein Gegenbild dasteht, eine Alternative, eine Vision, die sich im Kleinen bereits bewährt hat und die bereit ist, Schule zu machen.

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