Anatomie des Clickbaiting: So ködern uns Upworthy, BuzzFeed und Co.

Die Headlines, die uns zum Klicken und Sharen verleiten, funktionieren nach den Formeln des Clickbaiting. // von Jakob Steinschaden

 

90 Millionen Nutzer für Upworthy, 130 Millionen für BuzzFeed: Auch im deutschsprachigen Raum staunen Medienmanager und Journalisten über den immensen Traffic, den neue Online-Medien aus den USA in Top-Monaten auf sich ziehen können. Vor allem über Facebook und Twitter verbreiten sich die Storys und werden von den Nutzern besonders oft geteilt. Das Geheimnis: Die Headlines sind so optimiert, dass sie ganz gezielt zum Klick verleiten.


Warum ist das wichtig? Der unglaubliche Wachstum von neuen Online-Medien stammt nicht nur vom Content selbst, sondern resultiert vor allem aus der optimierten Präsentation.

  • Viralvideos werden oft mit einem Cliffhanger präsentiert, der offen lässt, wie die Geschichte ausgeht und so zum Klicken lockt.
  • BuzzFeed-Geschichten werden nicht nur mit Zahlen, sondern auch mit einem konkreten Versprechen für den Leser kommuniziert.
  • Upworthy pickt sich gezielt polarisierende Themen heraus und versieht die Headline mit einem Twist und einem Cliffhanger.

Am Zeitungsboulevard wird das, was BuzzFeed, Upworthy und viele andere Viral-Medien im Netz heute betreiben, natürlich schon lange gemacht. Ab dem Zeitpunkt, an dem verschiedene Blätter am Kiosk um die Gunst der Leser buhlen mussten, begannen einige Titel damit, mit sensationellen Schlagzeilen um Aufmerksamkeit zu heischen. In Mitteleuropa können das etwa die deutsche „Bild“-Zeitung („Wir sind Papst!„) oder die österreichische Gratiszeitung „heute“ („Richard Lugners neues Spatzi„) besonders gut.

Im Internet gibt es diese reißerischen Schlagzeilen natürlich auch, allerdings funktionieren sie ein wenig anders. Ein wichtiger Verbreitungsweg für neue Online-Medien sind die Social-Media-Seiten Facebook und Twitter, wo man an den alten News-Riesen, die sich im Google-Ranking bereits einen fixen Platz sichern konnten, vorbei kommt. Headlines müssen so optimiert werden, dass sie einerseits zum Klicken auf den Link am Ende einladen (so genanntes „Clickbaiting“) und andererseits auch gerne geteilt werden – vor allem bei sinkender organischer Reichweite von Facebook-Seiten ist es wichtig, dass die eigenen Leser die Links an ihre Freunde weiterleiten und nicht das Medium selbst an die Nutzer adressieren muss.

Die Headlines im Netz bestehen oft aus ganzen Sätzen, da sie in wenigen Sekunden Appetit auf die Story machen müssen, ohne zu viel zu verraten, und müssen außerdem Platz für alle relevanten Schlüsselworte haben. Mir sind drei Versionen von Clickbait-Headlines aufgefallen (es gibt sicher mehr):

1. Die Viralvideo-Formel

Auf Facebook, aber mittlerweile auch auf Twitter, werden immer öfter Videos geteilt, „die man gesehen haben muss„. Die Clips selbst müssen natürlich auch spektakulär sein, aber entscheidend ist die Headline, die der Nutzer in ein zwei Sekunden erfassen können muss. Sie muss Spannung erzeugen, darf dabei aber nicht zu viel verraten. Hier einige Beispiele:

Er wohnte auf einer Insel inmitten von 13 Mio. Menschen. Keiner beachtete ihn, bis eine Frau hinsah.“ (Likemag.com)

Bei dieser 79-jährigen Tänzerin gähnen zuerst alle… doch plötzlich geschieht etwas Unfassbares. WOW!“ (Likemag.com)

A Girl Noticed Her ‘Friend’ Was Starving Her Dog. What Happened Next Surprised Everyone. Wow.“ (Viral Nova)

 

2. Die BuzzFeed-Formel

BuzzFeed ist vor allem für seine Listicles (Artiel mit Listen zu einem Thema) berühmt geworden, in denen uns „X Dinge, die uns Y über Z lernen können„, versprochen werden. Hier drei Beispiele von besonders oft geklickten Buzzfeed-Storys:

21 Pictures That Will Restore Your Faith In Humanity.“ (BuzzFeed)

12 Extremely Disappointing Facts About Popular Music.“ (BuzzFeed)

13 Simple Steps To Get You Through The Day.“ (BuzzFeed)

Die britische Psychologin Nathalie Nahai hat sich ebenfalls mit den BuzzFeed-Schlagzeilen auseinandergesetzt und sich mit den Mechaniken des so genannten „persuasive storytelling“ auseinandergesetzt. Ihr zufolge sieht die Buzzfeed-Formel folgendermaßen aus:

 

3. Die Upworthy-Formel

Bei Upworthy wird natürlich auch mit Viralvideos gearbeitet, doch die Webseite tickt ein wenig anders. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, sensationelle und gleichzeitig substanzielle Storys verbreiten zu wollen. Upworthy-Schreiber sollen Forbes zufolge immer 25 verschiedene Schlagzeilen schreiben, vier davon werden online getestet, bevor dann die finale Headline groß kommuniziert wird. Unter upworthy.com/best-of kann man sich die Storys ansehen, die die meisten Klicks bekommen haben. Die Titel sehen etwa so aus:

A Boy Makes Anti-Muslim Comments In Front Of An American Soldier. The Soldier’s Reply: Priceless.“ (Upworthy)

A 4-Year-Old Girl Asked A Lesbian If She’s A Boy. She Responded The Awesomest Way Possible. (Upworthy)

Bully Calls News Anchor Fat, News Anchor Destroys Him On Live TV. (Upworthy)

This 19-Year-Old Pedophile Has Never Gone Near A Child. And He Needs You To Hear His Story.“ (Upworthy)

Der Werbe-Kreative John Kersell hat sich die Upworthy-Headlines genauer angesehen und zu folgender Formel gekommen, nach der sie ticken sollen:

 


Image: (adapted) Teaser & Image „711658920_e81817f070_o“ by Christopher Woo (CC BY 2.0)


ist seit 2006 publizistisch auf Papier und Pixel tätig. Er arbeitet in Österreich als Journalist und hat die beiden Sachbücher "Phänomen Facebook - Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt" (2010) und "Digitaler Frühling - Wer das Netz hat, hat die Macht?" (2012) veröffentlicht. In seinem Blog “Jakkse.com” und in Vorträgen schreibt und spricht er gerne über die Menschen und ihr Internet – von Social Media über Mobile Business und Netzpolitik bis zu Start-ups.


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