Die 5 Zukunftstechnologien über die wir schon heute sprechen sollten

Während das Establishment sich noch über die Disruptionen der letzten Jahre streiten, müssen wir uns darauf vorbereiten was auf uns zu kommt. Nur so entkommen wir dem Teufelskreis aus Reaktion, Abwehr und “German Angst”. Technologische Vorhersagen zu treffen ist ein undankbares Unterfangen. Gleichsam sollte man aber nicht müde werden, gerade den digitalen Biedermännern und -Frauen immer wieder klar zu machen, dass wir uns in der tagespolitischen Diskussion (vor allem im analogen Deutschland) primär bei Themen im Kreise drehen, die auf dem Markt schon völlig von gestern sind.

Bestes Beispiel ist Uber, wo die Politik in Taxiregulierung denkt, während der Konzern selbst sich längst als mehr versteht als nur ein Chauffeurdienst. Wir denken zu kurz, haben zu wenig Vision und verstehen die Geschäftsmodelle der Digitalisierung nicht. Da gibt es auf dem Kontinent noch Chefetagen die glauben, mit Leistungsschutzrecht und Co den Internetleuten etwas beweisen zu wollen. Diese Leute sind in einigen Jahren als Clowns vergessen und arbeitslos. Oder vielleicht auch nicht, denn wenn wir in einem gut sind, dann darin, den etablierten alten Industrien ein Schutzkissen zu bauen bis wir implodieren.

Viel konstruktiver ist es, schon früh genug zu überlegen welche technologischen Entwicklungen uns eigentlich ins Haus stehen. Ich rede dabei aber nicht von Utopien, sondern ich frage mich welche Themen stehen so unmittelbar bevor, dass sie innerhalb der nächsten circa fünf Jahre so präsent im Diskurs stehen werden, dass man sich schon jetzt schleunigst damit befassen sollte um nicht zu den digitalen Oldies zu gehören. Das soll auch keine umfassende Liste sein, sondern eine kleine Selektion. Meine These ist, dass wir nur über frühzeitige Beschäftigung mit Zukunftstechnologien aus dem aktuellen Teufelskreis entkommen, der von Reaktion, Panikmache, Abwehrhaltung und Unverständnis geprägt ist. Wir müssen raus aus der Aufholjagd!

AI & Machine Learning

Schon der Begriff “künstliche Intelligenz” ist trügerisch. Wenn uns der Aufstieg Googles eines gelehrt hat, dann die Tatsache dass die Zukunft denen gehört, die Algorithmen mit solch Unmengen an Daten füttern können, dass maschinelle Intelligenz das Ergebnis von Datenauswertung und mathematischer bzw. linguistischer Kombinatorik ist. Ob IBMs Watson, Wolfram Alpha oder Siri, künstliche Intelligenzen werden schlauer werden. Nichts daran ist künstlich, im Gegenteil. Die Informatik lernt von der Biologie, so werden immer mehr künftige Computersysteme der menschlichen Neurologie nachempfunden sein.

In Kombination mit Quantum Computing werden schon relativ bald digitale Denkmöglichkeiten bestehen, für die das besiegen menschlicher Schachgegner zum bloßen Bildschirmschoner verkommt. Machine Learning bezeichnet dabei die automatisierte Wissensgewinnung und Auswertung solcher Systeme, die einem Lernprozess ähnelt. Gesellschaftlich stellen sich vor allem Fragen der Konzentrierung dieser AI (Artificial Intelligence) und der Transparenz (damit meine ich wie weit solche AI unter anderem für die eigenen Schaffer noch nachvollziehbar, überprüfbar oder kritisierbar bleiben).

Mensch-Maschine Interaktion

Die Technologien durchdringen immer mehr alle Aspekte unseres Lebens, somit steht im Kern die Frage, wie der Mensch mit “der Maschine” (als stellvertretender Begriff für Technologie) interagieren wird, und damit meine ich nur in zweiter Linie physische Interaktion (UI etc.). Wie sieht künftig das gesellschaftliche Rollenverhältnis zwischen Mensch und Maschine aus, wenn wir uns beispielsweise Wertschöpfung (wer erwirtschaftet, wer konsumiert) und Kontrolle (glauben wir der Technologie per se, welchen Einfluss auf Gesetz und Rechtsdurchsetzung hat sie) ansehen. Die Maschine soll ja dem Menschen “dienen”, uns das Leben vereinfachen, und nicht umgekehrt.

Ohne in dystopisches Gedankengut abzudriften sollte man sich intensiv mit gesellschaftlichem “Nudging” beschäftigen, also den Mikrotrends die langfristig zu Verhaltensveränderungen und Kulturwandeln führen was unser Verhältnis zur Technologie und beispielsweise unsere Fähigkeit kritischer Auseinandersetzung betrifft. Die Maschine von morgen wird nich aus von einander isolierten Devices bestehen, oder An- bzw Ausschalter haben, wir müssen überlegen wie wir unsere Interaktion mit Zukunftstechnologien gestalten, die noch mehr omnipräsent sind als Smartphones.

Smart-X / IoT

Der Begriff Internet der Dinge (IoT, Internet of Things) langweilt mich. Es geht nicht um das lachhafte Beispiel des vernetzten Toasters, oder intelligente Thermostate. Diese Beispiele sind technologisch so simpel, es ist traurig dass wir in der Debatte noch nicht darüber hinaus sind. Worüber wir uns wirklich Gedanken machen müssen, ist eine Art digitale “Schicht” von Datenströmen und Sensoren, die sich durch unseren Alltag ziehen wird, die nicht unbedingt mit dem Internet viel zu tun hat, sondern ad-hoc Kommunikation zwischen Menschen und Gegenständen fast schon analog zu Luft oder Bakterien. Welche Daten tauschen Sie bei der Anäherung an ein Fahrzeug miteinander aus, bewusst oder unbewusst? Welche Terrabytes an Daten schwirren künftig in einer Sekunde durch die Luft, wenn sich in einem Kaufhaus ein Kunde durch eine Abteilung bewegt?

Die Vorstellung, dass Sensoren, Sender, Empfänger und Prozessoren von Kleinstgegenständen irgendwann so stark miniaturisiert sein werden, dass wir es für selbstverständlich erachten, von Datenströmen umgeben zu sein, fällt uns schwer und macht uns Angst. Die Kontrollfrage sollte aber sein: Seit wieviel Jahrzehnten sind wir von DECT, Mobilfunk, WiFi, DVB und anderen kabellosen Übertragungstechniken umgeben und durchdrungen, denken nicht mehr darüber nach, nehmen es als selbstverständlich hin? Ob Smart Home, Smart Car, Smart Shirt, oder Smart Watch, ob Smart City oder Smart House, die völlige digitale Vernetzung von Allem wird teilweise unbemerkt und gleichsam plötzlich über uns hereinbrechen.

Robotics

Noch kommen uns die DARPA Robotics Challenge Leute wie Spinner vor, aber in Asien ist man da schon weiter. Ich denke wir stehen kurz davor, uns ernsthaft, auch politisch, über Rahmenbedingungen für den Einsatz intelligenter robotischer Technologien im Alltag Gedanken zu machen. Ob smarte Butler für hilfsbedürftige Menschen, Industrieroboter, Kampfdrohnen oder unbemannte Flugzeuge. Wenn wir nicht klare Regeln schaffen, die über Asimov hinausgehen, könnte eintreten was Kritiker befürchten: eine Art “rechtsfreier Raum” (ich werfe 50 Cent in die Dose) für Roboter oder ein Zustand in dem wir bei der Rechtsdurchsetzung große Probleme bekommen, weil durch die verspätete Regulierung der Robotik wirtschaftlich derart Fakten geschaffen wurden, dass die Realität schon wieder fünf Schritte weiter ist.

Das könnte man sich vorstellen wie die Waffendebatte in den USA: egal wie optimistisch man über Waffengesetzgebung ist, sie wir nie soweit gehen können, den bei den Menschen bestehenden Waffenbestand zu reduzieren. Niemand lässt sich wegnehmen was er oder sie gekauft hat. Das wird auch für lieb gewonnene am-Körper-Roboter gelten, die man sich wie Haustiermäuse vorstellen könnte, eine Mischung aus Bodycam, Avatar und Assistent, nur vielleicht gefährlich, unsicher und intransparent.

Re-Redecentralization

Kehren wir zum Internet zurück. Ob Blockchain, local Clouds (Protonet, Lima), Mesh-Netzwerke und Co, es wird einen Trend geben zu einer Dezentralisierung, die eine Reaktion ist auf die Rezentralisierung die wir durch die Plattformökonomien erlebt haben. Die Besorgnis über Datenschutz und Kontrollverlust führt zu einer zweiten oder je nach Betrachtungsweise dritten Welle der Dezentralisierung. Was für Puristen erst einmal hervorragend klingt, stellt uns vor völlig neue Herausforderungen in Sachen Haftung, Compliance, Rechtsdurchsetzung und Fragmentierung.

Es ist noch gar nicht absehbar wie unsere digitale Ökonomie aussehen würde, wenn jeder Internetanschluss zu einer Art eigenem Internetdienstleister würde. Wir hätten es mit Milliarden kleiner Googles zu tun, die Telekommunikationsanbieter müssten nur um ein Problem zu nennen Weg von ihrer Politik der Upload-Beschränkung auf vormilleniale Bandbreiten, und auch die Debatte um die Netzneutralität würde nochmal an Komplexität hinzu gewinnen wenn wir davon ausgehen, dass es quasi keine Public Cloud mehr geben könnte. Wettbewerbspolitik steht auf dem Kopf, wenn es um die Fragen der Kompatibilität ginge, des Customer Service oder des Klagerechts.

Eine Dezentralisierung würde trotz aller möglicher Convenience und Benutzerfreundlichkeit neuer Produkte eine enorme Kompetenzlast und Verantwortung auf den Konsumenten umverteilen, eine Entwicklung auf die noch weniger Menschen vorbereitet sind als wir es auf die Reduktion von Kompetenznotwendigkeit und Verantwortung kannten durch das Aufkommen von Apps und Clouddiensten.

Ich hoffe damit ein paar Gedenkanstöße geben zu können und freue mich auf Eure Einschätzungen worüber wir noch vor 2020 akkut diskutieren müssen, und an welcher Stelle ich wahrscheinlich völlig falsch liege.


Teaser & Image „Display Dummy“ by geralt (CC0 Public Domain)


CHIEF-EDITOR’S NOTE: Wenn Ihnen unsere Arbeit etwas wert ist, zeigen Sie es uns bitte auf Flattr oder indem Sie unsere Reichweite auf Twitter, Facebook, Google+, Soundcloud, Slideshare, YouTube und/oder Instagram erhöhen. Vielen Dank. – Tobias Schwarz

The Conversation

ist ehemaliger Geschäftsführer des Internet & Gesellschaft Collaboratory. Aktuell ist er Gastdozent an der Willy Brandt School of Public Policy, und berät verschiedene Organisationen in digitalpolitischen Fragen. Privat betreibt er eine Vielzahl von Onlineportalen über interessante Filmgenres.


Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: , , , , , , , , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert