Vuze Camera im Test: 360-Grad-Videos mit 3D-Effekt

Seit es 360-Grad-Kameras gibt, ist es sehr leicht, visuelle Erinnerungen als begehbares Kugelpanorama festzuhalten. Eine immer größere Auswahl an erschwinglichen und leicht zu bedienenden Modellen ermöglicht es Betrachtern, sich per VR-Brille in den Aufnahmen zu bewegen und diese so zu erleben, als wären sie dabei gewesen. Doch geht es nach dem Hersteller Humaneyes Technologies, fehlt es den gängigen 360-Grad-Kameras für Konsumenten an wirklicher räumlicher Tiefendarstellung. Und 3D-taugliche Modelle, die das beherrschen, kosten oft so viel wie ein Kleinwagen. Mit der Vuze Camera will der Hersteller diese Lücke schließen.

Mithilfe von acht Objektiven und Bildsensoren produziert die Vuze Camera sehr hochauflösende Bilder im 4K-Standard mit stereoskopischen 3D-Effekt, der für ein noch realistischeres Mittendrin-Gefühl sorgen soll. Zu einem Preis von 995 Euro ist sie kein Mainstream-Produkt im engeren Sinn, unterbietet professionelle Kamera-Setups aber erheblich. Daher vermarktet Humaneyes die Vuze Camera als disruptive Innovation im Konsumentenmarkt. Sie soll Nutzern ein VR-Erlebnis bieten, dass viel näher an die Wahrnehmung des menschlichen Auges herankommt, und gleichzeitig so einfach zu produzieren ist, wie mit einer üblichen 360-Grad-Kamera, erklärte mir Geschäftsführer Jim Malcolm auf der IFA 2017 in Berlin. Als einer der ersten deutschen Journalisten erhielt ich ein Testgerät, um mir selbst ein Bild von der Vuze Camera zu machen.

CD-Player mit acht Augen

Äußerlich sehe ich der Vuze Camera die High-Tech-Fähigkeiten nicht an. Mit dem verspielten Plastik-Look eines tragbaren CD-Spielers aus den 1990ern weicht sie von der Gehäuseform der meisten 360-Grad-Kameras stark ab. Im Gegensatz beispielsweise zur Insta360 Nano oder Gear 360 passt sie auch nicht in die Hosentasche. Mit Maßen von 12 x 12 x 3 Zentimetern und einem Gewicht von rund 470 Gramm ist sie dafür einfach zu sperrig.

Der Platzbedarf ist einem hochgerüsteten Optik-Setup geschuldet. Denn statt zwei Fisheye-Objektiven wie die meisten gängigen 360-Grad-Kameras enthält die Vuze acht Ultraweitwinkel-Linsen mit 180 x 120 Grad Bildwinkel. Jeder Aufnahmeeinheit steht zudem ein separater Bildsensor mit Full-HD-Auflösung (1.920 x 1.080 Pixeln) vom Typ Sony IMX408 zur Seite. Wer mit der Vuze Camera Videos und Fotos aufnimmt, erfasst deshalb ein Vielfaches an Bilddetails, aus denen die Software später leichter Tiefeninformationen errechnen kann.

Filmen und Fotografieren im Blindflug

Aufnahmen erstelle ich mit der Vuze Camera wie mit jedem herkömmlichen Modell. Entweder bediene ich sie über die wenigen Tasten am Gehäuse oder über die kostenlos nutzbare Steuer-App für Android und iOS. Letzteres bietet sich an, wenn man die Kamera fernbedienen möchte, um nicht selbst im Bild zu sein.

Vuze Camera
Die Vorschau in der Android-App zeigt nur einen sehr kleinen Bildausschnitt, keinen 360-Grad-Blick. Image by Berti Kolbow-Lehradt

In beiden Fällen agiere ich im Blindflug. Denn das Kameragehäuse bietet wie üblich kein Display, über das ich die Aufnahme kontrollieren könnte. Und die App zeigt regulär noch kein Live-Bild an. Zwar lässt sich in der Android-Variante optional eine Vorschau aktivieren, doch die zeigt nur die Weltsicht eines der acht Objektive an und ermöglicht angesichts dieses kleinen Bildausschnitts lediglich eine sehr vage Orientierung. Eine umfassendere Vorschaufunktion will Humaneyes in naher Zukunft per App-Update nachliefern.

Vuze Camera App
App für Android. Screenshots by Berti Kolbow-Lehradt

Punktuelle App-Abstürze beim Aufnehmen von Fotos unterstreichen, dass die Software noch weiteren Feinschliff benötigt. Auch bei der Aktivierung der Funkverbindung zwischen Vuze und Smartphone wünsche ich mir einen bequemeren Vorgang. Denn jedes Mal, wenn ich die Kamera einschalte, muss ich manuell die WLAN-Taste hinter einer fummeligen Abdeckung am Gehäuse und das Netz im Smartphones aktivieren. Automatisch klappt die Verbindung nicht. Dieser defensive Funkeinsatz mag zur Schonung des Energieverbrauchs dienen. Eine Ladung des 3.700-mAh-starken Akkus ermöglicht nämlich in meinem Praxistest deutlich weniger als die vom Hersteller angegebenen zwei Stunden Aufnahmedauer.

Ein Akku-Pack unterwegs dabei zuhaben, schadet also nicht. Der Kauf eines zusätzlichen Stativgriffs ist ebenfalls zu empfehlen. Der im Lieferumfang enthaltene Griff ist sehr kurz und bietet kaum Stabilität. Positiv ist, dass Staub und Spritzwasser dem IP64-zertifizierten Gehäuse nichts anhaben können.

Vuze Camera
Der kleine Stativgriff aus dem Lieferumfang (rechts) sorgt für wenig Stabilität. Ein Extra-Griff (links) ist praktischer. Image by Berti Kolbow-Lehradt

Der PC wird zum Nähkästchen

Während bei herkömmlichen 360-Grad-Kameras das Bearbeiten und sofortige Teilen der Aufnahmen an Ort und Stelle mit dem Smartphone erfolgen kann, geht bei der Vuze Camera ohne einen Gang zum PC derzeit nichts. Nur die herstellereigene Software Vuze VR Studio ist in der Lage, die acht Full-HD-Einzelbilder zu einer 4K-Gesamtaufnahme „zusammenzunähen“ und in gängige Ausgabeformate abzuspeichern. Übertragen kann ich sie wahlweise per USB-Kabel oder mit einer MicroSD-Karte, auf der die Vuze die Dateien speichert.

Vuze Camera
Aufnahmen speichert die Vuze Camera auf einer MicroSD-Karte. Image by Berti Kolbow.-Lehradt

Eine Lizenz für die Windows-Software ist im Kauf der Kamera enthalten. Sie verlangt sehr schnelle und aktuelle Hardware. Eine Virtualisierung auf zwei älteren Macs scheitert daher, eine native Mac-Anwendung soll in Kürze folgen. Auf einem hochgerüsteten Microsoft Surface Studio lässt sich das Programm erst nach einem Grafikkarten-Treiberupdate starten, läuft dann aber problemlos. Das Rendern der Videos braucht angesichts der Datenfülle dennoch seine Zeit. Eine Minute Laufzeit erfordert rund eine Minute Verarbeitungszeit.

Vuze VR Studio
In der PC-Software Vuze VR Studio werden Videos und Fotos zusammengefügt. Screenshot by Berti Kolbow-Lehradt

Neben dem Stitching der Bilder bietet das Vuze VR Studio auch die Möglichkeit, die Blickachse zu zentrieren, falls die Aufnahmeeinheiten, die die Kamera als Frontobjektive verortet, nicht auf das Hauptmotiv ausgerichtet waren. Zudem lassen sich in einem Untermenü typische Übergangsfehler manuell korrigieren und Belichtungsunterschiede angleichen.

3D-Effekt bringt subtilen Vorteil

Am PC erstelle ich zwar den stereoskopischen 3D-Effekt, kann ihn dort aber nicht anzeigen. Um daher die Ergebnisse zu betrachten, übertrage ich die Videos vom Rechner in den Speicher eines Smartphones und montiere dieses in eine VR-Brille. Zum Abspielen nutze ich unter Android den Go VR Player. Für die richtige Darstellung wähle ich die Option „360 T/B“ aus.

Die Vorarbeit hat sich durchaus gelohnt: Auf dem Full-HD-Display eines Huawei Mate 9 betrachtet, wirken die Aufnahmen der Vuze Camera etwas räumlicher und realistischer als die Ergebnisse aus anderen 360-Grad-Kameras, die ich kenne. Jedoch ist die Wirkung subtil und kann für sich allein keinem Video einen Wow-Effekt verleihen. Aber ohnehin qualitativ hochwertigen Streifen kann der 3D-Effekt noch ein i-Tüpfelchen aufsetzen, wie ich anhand von Demo-Videos auf der IFA 2017 erlebt habe. Im Showroom auf der Webseite und auf dem eigenen YouTube-Kanal bietet Humaneyes entsprechende Clips an. Noch besser zur Geltung kommen dürfte der 3D-Effekt, wenn Smartphone-Displays bzw. die integrierten Bildschirme in VR-Headsets wirklich 4K auflösen können. Denn je schärfer und detailreicher das Video, desto leichter lassen sich Tiefenunterschiede erkennen.

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In den weiteren Video-Kriterien leistet das Vuze-System ordentliche Arbeit. Das „Vernähen“ der Einzelbilder gelingt ihm bei zunehmender Entfernung gut, nur bei ganz nahen Objekten erkenne ich zum Teil deutliche Übergangsfehler. Farbwiedergabe und Belichtungsunterschiede managt es tadellos. Allerdings neigen die Aufnahmen zur leichten Unterbelichtung. Die insgesamt vier integrierten Mikrofone, von denen jeweils eins an jeder Gehäuseseite angebracht ist, erledigen den Job. Nur der Lautstärkepegel dürfte gern etwas lauter sein.

Fazit: Vuze Camera hat 3D-VR im Griff, braucht aber Usability-Feinschliff

Die Vuze Camera ist ein interessantes Stück Aufnahmetechnologie und steht für den nächsten Evolutionsschritt bei VR-Videos. Das VR-Erlebnis durch einen stereoskopischen 3D-Effekt voranzutreiben, ist ein begrüßenswerter Ansatz von Humaneyes. Er wird aber derzeit noch von der ausbaufähigen Auflösung in VR-Displays limitiert. Daher bleibt der Vorteil subtil. Den Mehrwert erkaufen Konsumenten nicht nur mit einem hohen Preis, sondern auch einer voraussetzungsreichen Bedienung.

Denn die Vuze Camera ist schwerer und unhandlicher als die meisten herkömmlichen 360-Grad-Kameras. Außerdem lässt sie per App mangels vollwertiger Live-Vorschau noch nicht so praktisch bedienen wie vergleichbare Produkte. Die Aufnahmen erst am PC bearbeiten und dann wieder zum Smartphone transportieren zu müssen, widerspricht zudem der Bequemlichkeit, die viele Verbraucher inzwischen gewohnt sind.

Während Humaneyes die 3D-VR-Technik schon gut im Griff hat, wäre eine leichtere und vor allem App-zentrierte Bedienung wünschenswert. In Sachen Usability ist die Vuze Camera daher ein typisches Pionierprodukt, das noch ein bis zwei Generationen benötigt, um für die Masse attraktiv zu sein. Berücksichtigt man dann noch den aus Konsumentensicht gehobenen Kaufpreis von rund 1000 Euro, ist die Vuze Camera vorerst experimentierfreudigen Filmemachern und Technik-Enthusiasten zu empfehlen. Die Vision von 3D-VR-Videos für alle ist daher noch keine Realität. Aber einen Blinzler kann man mit der Vuze Camera schon in diese Zukunft werfen.

Vuze Camera
Image by Berti Kolbow-Lehradt

Dieser Artikel erschien zuerst auf Androidpiloten.


Images by Berti Kolbow-Lehradt


ist Freier Technikjournalist. Für die Netzpiloten befasst er sich mit vielen Aspekten rund ums Digitale. Dazu gehören das Smart Home, die Fotografie, Smartphones, die Apple-Welt sowie weitere Bereiche der Consumer Electronics und IT. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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