Peter Kruse – Was ist ein Kulturraum?

Im Nachgang zum ausführlichen Artikel von Martin Lindner Prof. Silberzunge, habe ich einige Inhalte aus den Präsentationen und Texten betrachtet, die von Kruse und seinen Mitarbeitern zugänglich sind. Zentrum der Betrachtung ist der Begriff Kulturraum, den Kruse m. W. nach im nachtstudio des ZDF zum Entzücken von Sascha Lobo einführte und der bei mir den ersten Verdacht erhärtete, dass Kruse seinen Untersuchungsgegenstand noch nicht präzise beschrieben hat. Es gibt eine Powerpoint-Schlacht auf dem whatsnext-blog (das ist ein Institut, das Kruse gründete), die auf 127 slides seine Ideen präsentieren will. Die Präsentation begründet zunächst die Methode in Bezug auf die Fragestellung, warum das Internet die Gesellschaft polarisiert. Ziemlich weit vorn stehen folgende Sätze:

Die intuitive Musterbildung Einzelner bildet die Basis; reicht aber nicht mehr aus. Das Individuum liefert nur einen Messpunkt. Die Analyseeinheit ist das Kollektiv. Erst die Analyse der unbewussten Bewertungen vieler Menschen erlaubt die Schätzung von Trends und die Vorhersage von kulturellem Wandel.

Auf welcher Basis argumentiert Kruse?

Musterbildung ist ein mathematischer Begriff aus dem Bereich der Symmetriebetrachtung. In den Naturwissenschaften (Biologie und Physik) wird er verwendet, um räumliche oder zeitliche Zell- oder Körperstrukturen zu beschreiben. Menschen mit Vorbildung in der Systemtheorie kennen Muster als Überbegriff für Strukturen. Genau dort wird jedoch die zeitliche Komponente von offenen Systemen über die Ebene der Organisation und nicht die der Strukturen beschrieben. Interessant ist die Bestimmung des Einzelnen als Messpunkt. Diese streng positivistische Auffassung des Einzelnen als Element einer Gemeinschaft oder Gesellschaft, das nicht über die Erkenntnisse der sinnliche Wahrnehmung sondern über objektive Messungen betrachtet wird, steht in der Tradition der Experimenatlphysik, die davon ausgeht, dass unsere gesamte Erkenntnis lediglich eine praktische Interpretation von Daten sei. Hier geht dieses Vorhaben noch einen Schritt weiter und erlaubt sich die Vorhersage von Zukunft. Dabei bedient sie sich der Analyse unbewusster Bewertungen. Sigmund Freud hatte noch die Hypnose in den Dienst genommen, um das Unbewusste zu erreichen, da es aus Sicht der Tiefenpsychologie nicht direkt der intellektuellen Analyse zugänglich ist. Kruse hat offenbar das geschafft, was Generationen von Psychologen, Psychiatern und Neurowissenschaftlern nach Freud nicht gelingen will. Auf dieser Basis will er dem kulturellen Wandel beim zusehen.

Bei aller wissenschaftstheoretischer Skepsis, ob wir es bei dem vorgelegten Programm Kruses überhaupt mit einem wissenschaftlichen Vorhaben zu tun haben, füge ich folgende persönliche Bemerkung aus eigener praktischen Berufserfahrung ein. Ich habe schon öfter Firmen in Bezug auf das Thema Wissensmanagement beraten. Früher oder später landet man immer bei den Themen Personal- und Organisationentwicklung und dem großen Thema Unternehmenskultur. Nun ist eine Firma deutlich kleiner als eine ganze Gesellschaft, aber dort habe ich aus berufenem Munde gehört und auch selbst erlebt, dass eine Unternehmenskultur sich nicht aktuell bemerkbar ändert. Auch dann nicht, wenn neue Geschäftsführer oder Abteilungsleiter einen „neuen Wind“ mitbringen. Oft ist es sogar so, dass altgediente Mitarbeiter in den Storytelling-Sitzungen berichten, dass sich eingeschlichene destruktive Pfade über mehrere Geschäftsführer und Restrukturierungsmaßnahmen hinweg erhalten. Was ich damit meine, ist die Beobachtung, dass sich Wandel in großen sozialen Gebilden extrem langsam vollzieht und das auch unter dem Eindruck, dass im äußeren Verhalten einiges geändert wurde. Die innere Einstellung in so einem Kollektiv dabei zu beobachten, wie sie eine Änderung erfährt, halte ich nicht nur angesichts der Methode sondern schlicht aufgrund der nicht vorhandenen Zeitreihenbetrachtungen aus den letzten 20 Jahren für uneinlösbar. Und selbst dann ist es nur ausgesuchten Insidern mit der nötigen Sensibilität möglich, präzise Beobachtungen zu formulieren. Aber aus positivistischer Sicht sind das dann ja Sinneswahrnehmungen von Individuen und keine Daten aus Messungen. Es erscheint fraglich, ob und wie Mess-Daten solche langsamen und subtilen Änderungen erhellen können.

Da helfen Kruse auch keine Querschnitte des Gehirns mit den Zuordnungen einer mentalen Dialektik aus intuitiver, limbischer Emotion und kortikaler, motorischer und sensorischer Informationsverarbeitung. Dieser Verweis auf Hirnforschung, die Funktionen und Areale miteinander in Verbindung bringt, ist ja eine individuelle Kategorie und laut Kruse ist das Individuelle nur ein Messpunkt also keine bedeutungstragende Ebene in seinem Vorhaben, den Kulturwandel zu beschreiben. Er behauptet dann in einer Art Pyramide den Aufbau einer kulturellen Wertewelt auf der Basis von limbischen Präferenzen (dem limbischen System ordnet man aktuell Emotionen und Triebverhalten zu), was seinerseits auf Meinungen und Haltungen basieren soll (???). Und die unterste Stufe wäre dann direkt messbares Verhalten. Die Inkonsistenz und die offensichtliche Fehlzuordnung der einzelnen Elemente dieser Pyramide mag der Leser selber bewerten. Er findet das zugehörige Schaubild auf slide 8 der Präsentation. In jedem Proseminar einer gegebenen deutschen Uni würde so ein Schaubild vom Tutor in Stücke gerissen.

Kulturraum?

Kruse macht dann auf Probleme aufmerksam, die seine Methode bschränken: Das limbische System sei in seiner funktionalen Zuschreibung (Emotion und Trieb) keiner Befragung zugänglich. Dann kommt ein Gemeinplatz der Kategorie „Verstehen basiert auf Kontextinformationen“ und zum Schluß schleicht sich der gute Holismus ein, der schon die Systemtheorie zu immer neuen Emergenzblüten treibt: „Kultur ist mehr als die Summe der Einzelbeiträge“. An genau dieser Stelle, wäre es hilfreich, den Kulturbegriff zu beleuchten. Denn Kruse hat den ethnozentristischen Begriff Internet als Kulturraum in das Nachdenken über das Netz eingeführt.

Kultur ist im Grunde die absichtsvolle (gestaltende) Einflußnahme des Menschen auf seine Umwelt. Im Wortsinn bedeutet es „Pflege“ oder „den Acker bestellen“. Im übertragenen Sinne, kann man Ideen als Samenkörner bezeichnen, die die Menschen sich und der Materie rundherum einpflanzen und als Ergebnis sehen wir dann Werkzeuge, Sprache, Kunst und ganz toll erzogene Kinder. Unter Kulturraum versteht man das Verbreitungsgebiet einer ganz bestimmten Kultur, die zumeist aus religiösen und sprachlichen Einflüssen und lokalen Traditionen besteht. Auch Jeff Jarvis glaubt, dass wir uns im Internet immer mehr aneinander angleichen.

Ich sehe im Internet das Gegenteil eines Kulturraumes. Hier wird die Differenz zwischen Menschen, Kulturräumen und Denkmodellen auf die größtmögliche Spitze getrieben. Das verbindende Element der Kommunikation über Sprache und Schrift täuscht nur Gemeinsamkeit dahingehend vor, dass wir uns gerne mit anderen Menschen verbinden über Bewertungen, Urteile, Ideen und einfach das Mitteilen von Befindlichkeiten. Aber hinter den anthropologischen Fixpunkten wie dem Bilden von Gemeinschaften und dem Festigen dieser Gebilde durch Austausch von Mitteilungen findet eben keine Angleichung der Traditionen statt. Die Sammler exotischer Käfer und die Liebhaber von gebrauchten Unterhosen begegnen sich untereinander und festigen damit eher wacklige individuelle Pesönlichkeitskonstruktionen durch die einfache Erkenntnis, dass es auch andere gibt, die seltsame Ansichten und Vorlieben haben. Kulturräume waren immer das Gegenteil: das Vereinheitlichen von vorherrschenden mehrheitsfähigen Ideen und Handlungen. Und das ist noch die nette Variante des Begriffs. Es gibt auch eine Deutung des Begriffs Kulturraum, der territoriale Ansprüche fokussiert!

Bildnachweis: robb

  ist seit 1999 als Freier Autor und Freier Journalist tätig für nationale und internationale Zeitungen und Magazine, Online-Publikationen sowie Radio- und TV-Sender. (Redaktionsleiter Netzpiloten.de von 2009 bis 2012)


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12 comments

  1. Langweilig! Überhaupt nur ein guter Denkanstoß: „Ich sehe im Internet das Gegenteil eines Kulturraumes.“ Leider widerspricht die anschließende Begründung der These im gleichen Atemzug.

    Mich beschleicht das Gefühl, dass sich die Netzpiloten an Peter Kruse abarbeiten, um selber ein wenig von dessen Rampenlicht abzugekommen…
    Fände ich auf Dauer schade. Lieber wieder ein paar konstruktive Beiträge!

  2. Ich finde es halt schade, dass dein Artikel sich mit der Kritik an Kruses Methode aufhält, statt die eigene These, dass Internet ist (k)ein Kulturraum auszuarbeiten.
    Spontan würde ich dazu sagen: Unterschiede (differance) sind für Kultur genauso bedeutsam wie Gemeinsamkeiten.

    1. @ Sean Kollak Ich muss gestehen, dass ich kein großer Anhänger der Zeichentheorie bin, auch dann nicht, wenn sie von Derrida erhöht wurde durch die différance. Dasselbe Problem habe ich auch mit Luhmanns Allesbegründendem Sinnbegriff. Diese Form der Abstraktion ist für mich eine Doppelung eines sowieso schon abstrakt reduzierten Weltzugangs qua Sprache, den man nicht noch extra potenzieren muss. Ich habe bis heute nicht eingesehen, warum viele dieser modernen Denker und Erklärer so fern von menschlicher Begegnung und unmittelbarer Gegenwart ihre Argumente in einen leeren Raum entladen, den die Religion hinterlassen hatte. Als Nietzsche sein „Gott ist tot“ ausrief, hat er ja darin aufgehoben, das Gott ist. Es gibt da keine Leere. Also braucht man auch nicht die Zeichen und ihre Bedeutung in eine höhere Sphäre zu heben. Lassen wir den Gläubigen und spirituell veranlagten ihre Ebene der Transzendenz und kümmern uns doch bitte um das Hier und Jetzt.

      @thorstena
      Vielen Dank für den Link zu meinem ersten Post zum Thema. Ja. Es ist in der Tat eine seltsame Frage, das Netz erklären zu wollen. Wir haben da nicht viel: Menschen tauschen sich und ihre Gedanken aus ohne dass das alte Sender/Empfänger-Modell eine erklärende Funktion einnehmen könnte. Warum sollte man Selbstdarstellung und das globale Teilen von Inhalten erklären? Ist es wirklich sinnvoll, im 3. Jahrtausend schon wieder von Emergenzphänomenen zu sprechen, wenn man dem Menschen als Gemeinschaftswesen begegnet. Ist es nicht so, dass wir im Netz das sehen und lesen, was wir im Zeitalter der Entfremdung eher seltener erlebt haben: Die vielgestaltige Art und Weise von Menschen im Umgang mit ihren Überzeugungen. Das aktuell beste Erklär-Modell ist das, einfach sich im Netz umzutun und festzustellen, dass es viele Wege gibt, es zu nutzen, Sozialwissenschaftler erheben Daten, um diese Gegenwart zu beschreiben, weil sie der sinnlichen Wahrnehmung nicht mehr trauen wollen oder können. Wie diese Daten in den Stand von Erkenntnissen erhoben werden, ist oft opak. Mir würde es genügen, wenn es ein paar handfeste Gründe gäbe, warum nicht jeder selbst sich ein Bild machen kann vom Netz und eine eigene Erklärung finden, was ihn oder sie daran reizt oder stört. Diese Gründe sind viel Sozialwissenschaftler schuldig geblieben. Oder sollen wir die Verweise auf die Täuschungsmöglichkeit der Augen und Ohren ernst nehmen? Und wenn ja, warum gelten sie dann nicht für Wissenschaftler und den Prozess der Datenerhebung.

  3. Überhaupt nicht langweilig, aber: Ich denke auch, dass das, was Du an anderer Stelle ja bereits zur Kulturraum-These Kruses geschrieben hast (http://www.netzpiloten.de/2010/04/19/republica10-die-welt-zu-gast-bei-freunden/ – siehe Fazit) auch diesem Blogpost ergänzend gut zu Gesicht stehen würde. Das hatten wir ja neulich schon (http://www.thorstena.de/?p=2428): Wenn das „Kulturraum-Konzept“ nichts bringt, welche Alternativen haben wir dann, das Netz zu erklären?

  4. Ich denke wenn man sich vorstellen möchte was theoretisch mit „Kulturraum“ gemeint sein könnte, dann hilft ein Text von Dirk Baecker zum Thema Strukturaufstellung. In diesem Text bezieht sich Dirk Baecker zwar vorrangig auf Kommunikationssysteme und nicht auf psychische Systeme (er ist eben Soziologe), doch ist dieser Text meiner Ansicht nach trotzdem hilfreich (auch wenn er eine andere, abstraktere Sprache spricht als Peter Kruse in seinen Vorträgen), wenn es darum geht sich klarzumachen, unter welchen Bedingungen eine theoretische Diskussion den Begriff des Raumes verwenden kann, nämlich als ein Medium.
    Daß die Verwendung des Begriffs „Kulturraum“ nun ein Hinweis sein soll, das dort eine Theorie diffus formuliert ist, das kann kann man also auch anders sehen.
    Sehr spannend ist der benannte Text auf jeden Fall, wenn man sich parallel zur Lektüre überlegt, was diese Methode der Strukturaufstellung übertragen auf Möglichkeiten der rechnergestützten Vernetzung bedeuten könnte (auch wenn das in diesem Text nicht Thema ist) Und dann kommt man schnell in die Richtung der Argumentation von Peter Kruse.

    Hier der Link: https://docs.google.com/viewer?url=http://blog.rebell.tv/files/therapie.pdf

    (Wer sich für die völlig anders gelagerte Methode von Peter Kruse interessiert, der dürfte hier interessante Hinweise finden: http://de.wikipedia.org/wiki/George_A._Kelly )

    Man kann Peter Kruse mit Sicherheit viel vorwerfen, aber das er in seinen Vorträgen nicht nur den Biedermeyer macht und auch mal kleine schmutzige, aber prägnante Theoreme raushaut, das feiere ich persönlich ziemlich. Das tut er aus meiner Sich nämlich recht seriös.

    PS: Ich fand in der Uni die Typen immer schon langweilig, die zu faul waren sich den allgemeinen theoretischen Hintergrund per entsprechender Literatur reinzuziehen und die sich dann beschwerten, das sie in den Vorträgen nicht alles verstehen.

  5. @christorpheus
    Klinisch sehe ich sicher Potenzial in Aufstellungen, wenn der begleitende Therapeut sich nicht unbedingt in den Fußstapfen von Hellinger bewegt. Dass Baecker nun Parsons in den Erklärtkontext der Deutung einbettet, ist für mich die dritte Überraschung. Denn handlungstheoretische Erklärungen sind gerade in so einer Aufstellung deutlich bemüht und das AGIL-Schema würde mir weder als Therpeut noch als Dokumentarist solch einer Veranstaltung helfen. Warum übrigens müssen wir diesen holistischen Ansatz der 1001 Systemtheorie nutzen, um das Netz theoretisch zu begreifen? Ist es denn schon ausreichend deskriptiv von Anthropologen, Ethologen und Ethnologen ausgerollt worden? Der Hinweis auf Rupert Sheldrake hat mich dann noch skeptischer gemacht hinsichtlich meines Generalsverdachts der quasiwissenschaftlichen Orientierung. Die Diskusion der Repräsentation im Text ist doch etwas flüchtig. Die dort angenommene Potenz der Tautologie ist kreativ. Der Diskussion des Raumbegriffs fehlt ein bißchen die Beachtung der extensionalen und intensionalen Bestimmung. Dass Begriff und Modelle immer Setzungen sind, braucht Baecker eigentlich nicht besonders hervorzuheben – es sei denn man befindet sich noch mitten im heftigen Universalismus-Streit.Und der Indikationenkalkül ist für mich der letzte nötige Hinweis, den ich noch brauchte, um festzustellen, dass ein mathematisierte Formaliensprache in keiner Weise nötig ist, um Menschen in ihren physischen und nicht-körperlichen Begegnungen zu betrachten. Es ist nicht besonders sinnvoll, die positivistische Wende von Comte in den pseudowissenschaftlichen Holismusdiskurs rund um den Begriff des Systems einzuführen. Dadurch wird einfach eine unnötige Abstarktionsebene eingeführt in die Beschreibung von Phänomenen, die keiner Seite dient.

  6. Das, was du da in Bezug auf die Sammler von Käfern bringst, die trotz Verbindungen untereinander bleiben, kenne ich unter dem Begriff der Glokalisierung, der in irgendeinem Seminar mal auf das Internet angewandt wurde. Wobei bedacht werden muss, dass damit wieder eine räumliche Dimension in das raumlose Netz eingeführt wird – die ich für schwierig halte.

    Spannend finde ich aber auch den anderen Aspekt, von wegen Vereinheitlichung der Kultur: Ich bin mir nicht sicher, ob das Netz wirklich die Differenz auf die Spitze treibt, wie du schreibst. Zunächst einmal macht es Differenz natürlich sichtbar und eröffnet immer wieder neue Möglichkeiten, sich zu irgendetwas in Differenz zu setzen. Aber was geschieht auf längere Sicht? Das Netz vergrößert geradezu exponentiell die Kontakte und die Kommunikation zwischen Menschen. Wieso nun sollen aber größere Kontakte zwischen Menschen die Differenz zwischen ihnen wahren (oder gar vergrößern)? In der Geschichte fällt mir kein Beispiel ein, in dem das so gewesen sein soll. Und selbst wenn die Menschen naturgemäß zunächst einmal unter ihresgleichen bleiben – war das jemals anders? Schon immer blieb der Handwerker gerne unter seinesgleichen, und dennoch gab es eine Angleichung von Kultur, die durch Kontakte (auch mit Andersdenkenden, wenn auch seltener als mit Gleichgesinnten), Notwendigkeiten und Strukturen passiert ist. So etwas gibt es jedoch auch im Netz. Warum nun soll das soziale Gefüge der Menschen im Netz anders funktionieren als bisher in der Gesellschaft, wenn doch das Netz von Menschen gemacht wird?

  7. @Björn

    Aus meiner Erfahrung ist das Netz zunächst ein Medium, das außerordentlich intensiv für die Selbstdarstellung genutzt wird. Das hat es bisher in keinem öffentlichen Kanal so gegeben, wenn es denn überhaupt schon öffentliche Kanäle gab, was man für TV, Zeitung und Buch ja trefflich bestreiten kann. Der P2P-Ansatz ist aber der zweite und noch wichtigere Charakter des Netzes, also der Austausch ohne Einbinden einer höheren Ebene (Hierarchie, Sturktur) direkt von Element zu Element um es im systemtheoretischen Jargon zu beschreiben. Die Differenz kommt nicht aus der Menge an Kontakten sondern durch ein Absenden an unbekannt. Viele Texte im Web sind wie eine Flaschenpost in tausendfacher Ausfertigung. Denn das Netz ist ja ein On-Demand Medium, wer die Informationen will, muss sie suchen, sie kommen eben nicht auf ihn oder sie zu. Die Drehscheibe ist daher eine Suchmaschine, wie Google richtig und die Verlage nie verstanden haben.

    Das soziale Netz funktioniert nicht anders. Aber der marginalisierte Liebhaber abstruser Handlungen oder Objekte gibt seine Wünsche ein und findet sehr viele Angebote, ähnliche Menschen etc. Das gab es vorher nicht, dass man in ein Medium mit universalem Angebotspotenzial eine quasiobjektive Wunschmaschine hineininterpretieren konnte und diese Wünsche auch noch mit Ergebnisse befriedigt werden: 1 Milliarde Autoren und deren 1 Milliarde Ansichten zu 1 Milliarde Themen. Die Differenz war schon immer da. Aber es gab noch nie eine Oberfläche mit der man sie bedienen konnte.

  8. Vielleicht sollte man sich erstmal wirklich mit dem instrument (nextexpertizer) auseinander setzen (http://www.amazon.de/Handbuch-Kompetenzmessung-betrieblichen-p%C3%A4dagogischen-psychologischen/dp/3791024779/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1286703251&sr=8-1), bevor man generell, und dann auch noch so eine methodische Kritik äußert. Man sollte immer beachten, für wen diese Vorträge gemacht sind. In der verfassten Kritik wird ein Maß angelegt, dass der Intention der Vorträge überhaupt nicht entspricht. Natürlich kann darauf kaum Rücksicht genommen werden, man kann ja jedem alles unterstellen, aber all zu einfach sollte man es sich dann doch nicht machen.

  9. @Janek Berger

    Lieber Herr Berger,

    es ist schwer, Ihr „man“ zu fassen. Ist es rückbezüglich, meint es Herrn Kruse oder den Autoren dieses Beitrags, also mich?

    Soll dieser/dieses „man“ tatsächlich zunächst ein Buch über ein sozialwissenschaftliches Verfahren mit anschließender statistischer Analyse lesen, um über den Begriff des Kulturraums zu schreiben, der in einem TV-Interview benutzt wurde, um den Zuschauern eine Beobachtung von Kruse zu erklären?

    Diese Limitierung des Diskurses kann ich weder methodisch noch diskursiv, noch kommunikationstheoretisch bzw. -praktisch begründen. Aber vielleicht helfen sie mir dabei, warum dieser Begriff nur dann sinnvoll kritisiert werden sollte.

    Insgesamt halte ich Sätze, die mit „Man sollte“ beginnen nicht geeignet, um einen offenen Diskurs zu begründen oder gar einen herrschaftsfreien Diskurs einzuleiten. Interesant ist hierbei ihr Hinweis auf einen Maßstab. Welches Maß darf den die Kritik haben, damit sie dem Fernsehpublikum angemessen ist. Ist es wirklich angemessen, von diesem Publikum die Lektüre des Buches zu empfehlen, bevor sie den Ausführen von Kruse folgen können. Ich halte es für sinnvoll grundsätzlich alles zu vereinfachen, leider ist genau dies die höchste intellektuelle Tätigkeit, die nicht jedem gegeben ist. Ein Beispiel ist das ewigen Rekurrieren auf Begriffe wie Emergenz oder Komplexität, wenn die Krücke der Referenzen und vermeintlich objektiven Maßstäbe methodolgischen Schiffbruch erleiden. Aber das ist eine wissenschaftstheoretische Debatte. Dieser gehen sehr viele Wissenschaftler aus dem Weg, seit Stengers und Latour durch das Land der Sozialwissenschaften ziehen und eine Umwertung der traditionellen Werte vornehmen. Aber ich will hier niemanden mit der Akteur-Netzwerk-Theorie und ihren Enkeln langweilen…

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