Post-Privacy oder Hoffen auf die Ignoranz

Christian Heller, online auch bekannt als @plomlompom, hat eine Idee: Warum löst man die gesamte olle Datenschutzdebatte nicht, indem einfach jeder möglichst viele Informationen über sich publiziert und so die althergebrachte Intoleranz gegenüber dem Individuum auflöst? „Die gegenwärtige Daten-Explosion und Erosion des Privaten lässt sich als Bedrohung oder als Chance begreifen“, schreibt er in einem Artikel auf carta.info. Er argumentiert klar für die Chance, bezeichnet die deutsche Datenschutzbewegung als „konservativ“, bescheinigt ihrem Bedürfnis, Informationsflüsse im Netz zu kontrollieren, Gemeinsamkeiten mit Rechteverwertungsindustrie und Zensurstrukturen.



Heller fordert vollkommene Transparenz statt Datenschutz, also Verstecken durch Unsichtbarkeit. Damit löst er zwar den Widerspruch auf, warum einerseits staatlicher Datenschutz gefordert ist, immer mehr Menschen immer eifriger Informationen über sich in sozialen Netzwerke und anderswo im Netz posten. Doch auch wenn er all das mit dem griffigen Label „post-privacy“ versieht, löst er damit doch kein einziges Problem, das sich aus den dauerhaft im Netz frei flottierenden Privatdaten ergibt.


Heller schreibt: „Die Daten-Explosion bringt die Gleichgewichte der identitären Einengung ins Wanken. Wer ständig all seine tatsächlichen Fehler, Widersprüche Idiosynkrasien, Persönlichkeitsspaltungen und Inkonsequenzen broadcastet, der kann nicht mehr in eine kohärente Identität gezwungen werden.“ Doch das kommt im Endeffekt ganz auf denjenigen an, der diese Masse an Informationen rezipiert. Natürlich mag es Menschen geben, die sich so tiefschürfend für ihr Gegenüber interessieren, dass sie all diese Informationen über eine Person digital aufnehmen und sorgfältig abwägen. Wird eine solche Informationsflut ernsthaft ein Bankinstitut dazu bewegen, ein mieses Scoring aufgrund des schillernden digitalen Profils einer Person hintenüberfallen lassen? Ein Personalchef die gesammelten Jugendsünden auf Facebook ignorieren? Oder wird das einen einzigen Nachbarn in einem Provinznest davon abhalten, sich über einen regen Netznutzer mit abseitigen Hobbys das Maul zu zerreissen? Wohl eher nicht.
Nun könnte man darauf hoffen – und vielleicht will Heller sich eher so verstanden sehen, dass das konkrete Onlineprofil des Einzelnen oder eine bestimmte Detailinformation interessiert, wenn alle Informationen über alle offen zugänglich sind. Wenn alle in der U-Bahn nackt fahren, ist es natürlich weniger peinlich. Aber warum sollte man?


Heller macht sich lustig über das ewige Reden von der mangelnden Medienkompetenz der Menschen. Aber ist es wirklich so, dass jeder User in einem bewussten Prozess abwägt, ob sich durch das Preisgeben einer Information online für ihn tatsächlich mehr Nutzen als Risiken ergeben? Steht ihm immer vor Augen, wer Zugriff auf welche Daten haben könnte, was daraus abgeleitet werden könnte, wenn man diese Information mit anderen verknüpft? Der US-österreichische Wissenschaftler Viktor Mayer-Schönberger promotet schon seit einiger Zeit seine Idee, mit dem Phänomen des nicht-vergessenden Netzes, der Datenflut umzugehen, die mir etwas mehr einleuchtet als Hellers Versinken der einzelnen Privatinformation in der allgemeinen Datenflut: die Idee des digitalen Rostens bzw. des Verfallsdatums für Daten im Netz. Auch hier kann man sicherlich an der praktischen Umsetzbarkeit zweifeln – aber zumindest verfolgt sie eine Idee, statt einfach auf das Einsetzen einer gesamtgesellschaftlichen Ignoranz- oder Amnesiebewegung zu hoffen.


Denn Heller fragt am Ende seines Beitrags: „Was heisst die Auflösung von Individuen in verschaltbaren Daten-Wolken die Externalisierung der Person vom menschlichen Körper auf Wälder aus Internet-Profilen, der Kontrollverlust übers „Ich“?“ Und impliziert die Antwort: Nicht zwangsläufig etwas Schlimmes. Auch wenn er selbst wenige Absätze zuvor konstatiert, dass die Gefährlichkeit von Daten „abhängig ist von den Machtverhältnissen, in die ihr Fluss gegossen wird.“ Nun denn: Verlassen wir uns also darauf, dass auch künftig keine Flußbegradigungen angepeit werden.


Interessant an Hellers Beitrag, der von vielen Kommentatoren als „klug und provokativ“ geadelt wurde, ist, dass er sich kaum mit dem Gedanken aufzuhalten scheint, dass im Netz nicht nur Informationen, die ein User selbst über sich online gepostet hat, verfügbar sind – sondern auch Wissen über ihn kursiert, an dessen Veröffentlichung er nicht beteiligt ist. Lassen wir uns doch einmal auf Hellers Gedankenexperiment ein: Jeder zeichnet ein ausführliches und realistisches Bild seiner Tätigkeiten und Vorlieben online. Zusätzlich müht sich der Staat um die Herstellung von maximaler Transparenz. Und – Achtung, hier überspitze ich – vielleicht schafft man auch die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern ab, so dass niemand mehr dafür eintritt, persönliche Daten zu Steuern, Krankengeschichte oder Strafregistern mehr unter Verschluss gehalten werden. Dann haben wir zwar alle keine Geheimnisse vor einander. Aber ob die Gesellschaft dann mehr auf dne gläsernen Jedermann, den man jederzeit an seinen empfindlichsten Stellen treffen kann, oder auf eine fröhlich-tolerante Gleichgültigkeit zusteuert, ist aus heutiger Perspektive reine Glaubenssache. Ich würde es ungern auf einen Versuch ankommen lassen.

(www.laaff.net) lebt und arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie ist stellvertretende Ressortleiterin bei taz.de, schreibt für überregionale Zeitungen, Onlinemagazine und produziert Radiobeiträge. Sie betreut zudem das taz-Datenschutzblog CTRL.


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