10 Jahre Facebook: Was das Social Network alles nicht verändert hat

Das Online-Netzwerk gilt vielen als Revolution – doch in so manchen Bereichen ist Zuckerbergs Schöpfung gar nicht so einflussreich, wie man denken mag. Morgen, am 4. Februar 2014, wird Facebook zehn Jahre alt. Anlass für viele Medien, zurückzublicken und große Storys über die weltverändernden Dinge zu schreiben, die Mark Zuckerberg zu Wege gebracht hat. Und natürlich muss man festhalten: Das Social Network hat großen Einfluss auf unsere Online-Kommunikation, auf unseren Nachrichten-Konsum auf unsere Privatsphäre und darauf wie Unternehmen Werbung machen und Politiker zum und mit dem Volke sprechen. Doch man muss auch einen Schritt zurückmachen und sich fragen: Was hat Facebook alles nicht verändert? 

1. Die Privatsphäre abgeschafft? Nein.

“Facebook schafft die Privatsphäre ab”, lautet ein Standsatz, und Facebook-Gründer Zuckerberg meinte einst, dass Privatsphäre heute nicht mehr der “sozialen Norm” entspreche. Das ist nicht eingetreten. Spätestens mit dem Bekanntwerden der NSA-Überwachung ist das Bedürfnis nach Datenschutz und Privatsphäre gewachsen: Laut BITKOM-Studie haben sich 82 Prozent aller aktiven Facebook-Nutzer mit den Privatsphäre-Einstellungen ihres Netzwerks beschäftigt, 69 Prozent haben diese auch verändert (unter den 14- bis 29-Jährigen sogar 90 bzw. 77 Prozent). Die wichtigste technische Funktion ist für die Befragten (93 Prozent) das vollständige Löschen von persönlichen Daten. Zudem sprechen Forscher bereits vom so genannten “Chilling Effect”: Internetnutzer zensieren sich gewissermaßen selbst und stellen weniger online als früher. Parallel dazu sehen wir den rasanten Aufstieg der beiden Smartphone-Apps WhatsApp und Snapchat: Erstere erlaubt das Sharen von Informationen in kleinen Gruppen, zweitere hat eine Selbstzerstörungsfunktion für verschickte Bilder und Videos verbaut. Insgesamt gibt es also trotz Facebook ein großes Verlangen nach Privatsphäre – wobei immer zu bedenken ist, dass digitale Tools im NSA-Zeitalter oft nur eine gefühlte Privatsphäre und keine echte bieten können.
 

2. Den Arabische Frühling ausgelöst? Sicher nicht alleine.

Auch vier Jahre nach den Volksaufständen in Tunesien und Ägypten liest man immer wieder noch von einer vermeintlichen “Facebook-Revolution”. Damit misst man dem Online-Netzwerk aber eine zu bedeutende Rolle zu – denn schließlich waren es die Ägypter und Tunesier selbst, die auf die Straße gingen, und E-Mail, SMS, YouTube und Twitter sowie Flugzettel, Blogs und Word Of Mouth darf man auch nicht vergessen. “It’s not a Facebook thing, it’s an Internet thing”, sagte selbst Mark Zuckerberg im Rahmen des e-G8 Internet Forum über den Arabischen Frühling. Außerdem war Facebook nicht unbedingt hilfreich, weil man Wael Ghonim, einem der Betreiber der Facebook-Seite “We All Are Khaled Said”, kein Pseudonym zum Schutz seiner Identität vor den Schergen Mubaraks zugestehen wollte.
 

3. Die eMail abgelöst? Nope.

David Kirkpatrick, Autor des Buches “The Facebook Effect”, war in einem Interview mit mir 2009 felsenfest davon überzeugt, dass Facebook die E-Mail obsolet machen wird. Im November 2010 ermöglichte die Firma dann jedem Mitglied, eine E-Mail-Adresse nach dem Scham max.mustermann@facebook.com anlegen zu können – was einige Beobachter im Silicon Valley dazu verleitete, das Feature als “Gmail-Killer” zu bezeichnen. Schnellvorlauf ins Jahr 2014: Um mich bei Facebook einzuloggen, brauche ich immer noch meine alte E-Mail-Adresse. Und Sie?
 

4. Die Vorherrschaft von Google gebrochen? Noch lange nicht.

Die Facebook-Macher sind seit ihrer Ankunft im Silicon Valley von einem Ziel getrieben: Google zu schlagen. Man wollte das gesamte Web mit einem “social layer” überziehen und grundlegend die Art und Weise verändern, wie Menschen an Informationen gelangen. Allerdings googeln die Menschen heute immer noch (ca. 3 Milliarden Mal pro Tag), während Mark Zuckerberg kürzlich eingestehen musste, dass die hauseigene Suchfunktion Graph Search nicht einmal in der Hälfte aller Fälle funktioniere. Gegen Google mit einem Jahresumsatz von 55,5 Milliarden US-Dollar 2013 nimmt sich Facebooks Umsatz im Vorjahr mit 7,87 Mrd. US-Dollar vergleichsweise klein aus. Auch im Mobile-Bereich geht das Gros der Werbegelder an Google und nicht an Facebook, das immerhin mehr als 50 Prozent seines Umsatzes auf Smartphones und Tablets macht.
 

5. Skype obsolet gemacht? Not.

Wenn so viele Menschen auf einer Online-Plattform kommunizieren, dann ist es naheliegned, ihnen möglichst viele technische Kanäle dazu zu geben. Dachte sich Mark Zuckerberg und führte im Sommer 2011 Videoanrufe (übrigens mit Hilfe von Skype) ein, die Facebook-Mitglieder am Desktop starten können. Die Funktion ist allerdings nicht sehr präsent im Online-Netzwerk, hat sich nicht so richtig durchgesetzt, und die Menschen sagen immer noch “skypen” zum Videotelefonieren. Da sind Apple mit “Facetime” und Google mit “Hangouts” viel näher dran als Facebook, den Videocall-King, der Microsoft gehört, vom Thron zu stoßen.
 

6. Seine Klarnamenpolitik durchgesetzt? Nö.

Der Traum von Mark Zuckerberg, dass einmal alle Menschen mit ihrer echten Identität im Internet unterwegs sind, dürfte sich nicht erfüllen. Twitter, Reddit oder Google+ sind große Plattformen, auf denen Pseudonyme erlaubt sind – wenn auch diese Accounts im Hintergrund auf unterschiedliche Art und Weise an echte, auffindbare Personen geknüpft sind. Auf Facebook selbst gibt es etwa 8 Prozent Fake-Accounts (das sind fast 100 Millionen Accounts), und auch Facebook-eigene Apps wie Instagram oder Messenger kann man mit mit Nickname bzw. ohne Facebook-Account benutzen.
 

7. Die Welt vernetzter und offener denn je gemacht? Leider nein.

Das ambitionierte Ziel, die gesamte Welt auf einer Plattform zu vernetzen, konnte Facebook in seinen ersten zehn Jahren natürlich nicht erreichen. In Deutschland sind 56 Prozent der Internetnutzer Mitglied, in Österreich sind etwa 40 Prozent der Bevölkerung registriert. Ganz zu schweigen von restriktiven Staaten wie China, Iran oder Pakistan, wo das Online-Netzwerk gesperrt ist. Außerdem beschreiben renommierte Buchautoren wie Eli Pariser (“The Filter Bubble”) oder Ethan Zuckerman (“Rewire”) einen gegenläufigen Trend: Anstatt mit der ganzen Welt in Kontakt zu treten, umgeben wir uns in Online-Netzwerken lieber mit Menschen und Informationen, die uns ähnlich sind bzw. zu unseren Meinungen passen. Mit seinen Personalisierungstechnologien trägt Facebook zu dieser Entwicklung bei. Auch offener ist die Welt nicht geworden: Wenn man etwa den Berichten von “Reporter ohne Grenzen” folgt, wird die Zahl der Menschen, die unter Internet-Zensur und -Überwachung leben, von Jahr zu Jahr nicht kleiner, sondern größer. Und wenn man sich die Leaks von Edward Snowden ansieht, dann wird klar, dass Facebook auch ein Tool der Überwacher geworden ist.
 

Image (adapted) “Facebook Campus“ by Marcin Wichary (CC BY 2.0)


 

ist seit 2006 publizistisch auf Papier und Pixel tätig. Er arbeitet in Österreich als Journalist und hat die beiden Sachbücher "Phänomen Facebook - Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt" (2010) und "Digitaler Frühling - Wer das Netz hat, hat die Macht?" (2012) veröffentlicht. In seinem Blog “Jakkse.com” und in Vorträgen schreibt und spricht er gerne über die Menschen und ihr Internet – von Social Media über Mobile Business und Netzpolitik bis zu Start-ups.


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